Wann hat dich das letzte Mal ein Song so richtig tief getroffen?

Ich höre wirklich viel Musik und heule öfter mal (auch vor Freude) los, aber meine eigene Reaktion auf diesen neuen Release von ARKADEN & TYNA hat mich dann doch selbst ganz schön überrascht.

Kurz zur Einordnung: ARKADEN sind eine deutschsprachige Band aus Region rund um Bielefeld, Paderborn und Hannover. Ihre kompromisslosen, emotionalen und bildstarken Texte, die gesellschaftskritische Themen mit persönlichen Erfahrungen verbinden, machen ihre Songs besonders nahbar. Ihr Sound bewegt sich irgendwo zwischen Post-Hardcore, Punkrock und einer Prise Pop – roh, intensiv und mit einer Qualität, die mich jedes Mal aufs Neue umhaut.

Wer mich und auch Schallgefluester schon länger kennt, weiß: Zwei Mitglieder von ARKADEN begleiten mich schon etwas länger musikalisch durch mein Leben. Das bedeutet nicht, dass ich alles, was von ihnen kommt, unkritisch abnicke. Gerade sprachlich sind sie mir manchmal etwa zu direkt. Ich denke da an meinen persönlichen EndgegnerHochhausblock, denn obwohl ich das beschriebene Gefühl des Songs durchaus greifen kann, finde ich die sprachlichen Bilder schon ziemlich drastisch.

Und trotzdem liebe ich die Band, weil sie echten Mut aufbringt und sich was traut. Weil mich ihr Sound begeistert. Weil sie öffentlich Haltung zeigt. Ob in ihrer Musik, auf ihren Konzerten oder auf Demos gegen Rechts.

Nach einer emotional und menschlich absolut verständlichen Schaffenspause melden sich ARKADEN nun also mit einer neuen Single und ihrem ersten offiziellen Feature mit TYNA zurück.

TYNA sind eine meiner Meinung nach ebenfalls extrem spannende Indie-Punk-Band aus Hamburg, die in ihren Songs vor kaum einem schwierigen Thema zurückschreckt. Sie singen unter anderem über Sexismus, Rassismus und mentale Gesundheit. Seit 2022 in aktueller Besetzung unterwegs, haben sie sich mit kompromisslosen Live-Shows zwischen CSD-Bühne, Open Flair und Support-Touren für ZSK und andere bekannte Bands als feste Größe in der deutschsprachigen Alternativszene etabliert. Sounds like a perfect match, oder?

Der gemeinsame Song trägt den Titel „Okay“. Und dieses „Okay“ hat es in sich. Es ist das absolute Gegenteil von Gleichgültigkeit. Ein Mix sämtlicher Emotionen. Ich beschreibe einfach mal, was in mir vorging, als ich den Song das erste Mal hörte:

Erst wurden nur meine Augen groß, dann murmelte ich „Oh Gott … ist das heftig… wow…“ Und schließlich kamen die Tränen. Initial noch nicht einmal wegen des Textes – denn den konnte ich da noch gar nicht richtig greifen – sondern schon allein wegen des Klangs.

Viele Menschen mit mehr musikalischer Ahnung mögen es anders sehen, aber ich dachte spontan an eine wahnsinnig smarte und für mich musikalisch ansprechendere Version von „The Pretender“ von den Foo Fighters mit einer ordentlichen Prise Post-Rock. Und ich liebe Post-Rock! Es ist dreckig, wuchtig und dabei doch so verletzlich und verdammt ausgeklügelt. Vom Intro über die Strophen und den Pre-Chorus bis hin zum Refrain und der mich mit ihrer jammernden Gitarre komplett brechenden Bridge – es ist einfach so viel Dynamik drin, dass einen der Song von Anfang bis Ende nicht vom Haken lässt. Jetzt im Ernst, diese Bridge… sie fühlt sich für mich an, als würde die Welt währenddessen für einen Moment stillstehen.

Die Spielpausen, das Tempo, die Dynamik – alles sitzt. Und dann das Zusammenspiel von Florian (ARKADEN) und Tina (TYNA): zwei Stimmen, die sich emotional immer weiter steigern – zwischen Resignation, Verzweiflung und Wut. Rau, ungefiltert, ehrlich.

Das ist die Magie von Musik für mich. Wie krass ist es bitte, wenn ein Song dich so tief trifft, noch bevor du den Text wirklich verstanden hast? Also natürlich nur, sofern es Text gibt…

Inhaltlich verorte ich den Song im Bereich des Endes einer toxischen Beziehung aus möglicherweise zwei Sichten, dargestellt durch Florian und Tina. Ich würde die Positionen dabei nicht einmal unbedingt als gegensätzlich sehen, sondern eher als zwei unterschiedliche Arten, mit dem Schmerz umzugehen:

Florian wirkt nach außen gefasst, will sich nichts anmerken lassen. Nur ein bisschen Wind in den Augen, zu wenig Schlaf – morgen tut’s bestimmt nicht mehr so weh. Eine Haltung, die früher oder später nach Innen zerreißt.

Tina hingegen betont, dass sie nie an ihn gedacht habe. Außer tagsüber. Und nachts. Was faktisch gesehen eigentlich immer ist. Ihr Stolz lässt wenig Schwäche zu, aber sie gibt zu, geweint zu haben. Und sie will einfach nur wieder schlafen können. Für mich klingt das schon reflektierter, wütender und klarer im Umgang mit dem Schmerz.

Letztlich geht es beiden Sichten darum, nicht mehr „die einzig wahre Person“ und der „Sklave“ bzw. die „Sklavin“ zu sein. Am meisten bricht mich dabei die Zeile: „Ich will nicht, dass ich dich / Ich will nicht, dass du mich brauchst“. Das beschreibt für mich besonders gut den übermenschlichen Kraftakt, den es meist braucht, um einer ungesunden Beziehungsdynamik zu entfliehen. Umso stärker finde ich daher auch den Ansatz, eine männlich und eine weiblich interpretierte Stimme zu Wort kommen zu lassen.

Um nicht nur mit Lorbeeren um mich zu schmeißen: Wenn es nach mir ginge, hätte Tina noch mehr Gesang übernehmen können. Ich hoffe so sehr darauf, das ich diese Wucht an Song irgendwann einmal in Doppelbesetzung durch ARKADEN und TYNA live erleben darf.

„Okay“ ist für mich auf jeden Fall mehr als nur ein Lied. Es ist ein Gefühl, eine Wucht, ein Aufschrei. Und vor allem ein Beweis dafür, wie tief Musik treffen kann – noch bevor man überhaupt realisiert, worum es inhaltlich eigentlich geht. Und dann trifft’s dich direkt nochmal.

Article Tags:
·
Schallgefluester
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.