[dropcap]D[/dropcap]ienstagabend nahe des Bahnhofs Köln-Süd. Wir befinden uns in einem der schönsten Clubs, die ich kenne. Grund dafür: Das Konzert von Daniel Nitt und Chris Brenner.
21 Uhr. Wir haben es uns recht gemütlich gemacht, plaudern über die interessante Laut-Leise-Technik der Hintergrundmusik und schlürfen unsere niedlichen kleinen Softdrinks. Ein junger Mann betritt durch das Publikum die Bühne. Großer Kopf, viel Frisur, kleine Gitarre. Sein Name: Chris Brenner. Seine Abozahlen auf YouTube sind heute Abend kein Thema. Trotzdem denke ich mir so meinen Teil: ‚Der wird es schwer haben, gegen meine Vorurteile anzukommen.‘
Nur wenige Augenblicke später verwerfe ich diesen schwachsinnigen Gedanken und wippe im Takt mit, kauer mich vor ihn und knipse so viel wie nur möglich. Ein solches Verhalten spricht bei mir dafür, dass mich der Musiker irgendwie in seinen Bann gezogen hat. Und damit bin ich eindeutig nicht allein. Chris hat auch den Rest des Publikums auf seiner Seite. Immer wieder bindet er die Leute vor der Bühne in das Geschehen ein. Ob Klatschen oder getrenntes Mitsingen – das überwiegend weibliche Publikum tut, was der junge Mann mit der Gitarre sagt und er zeigt sich davon ganz begeistert. Während es manchmal so leise ist, dass man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte, ist der Jubel direkt nach den Songs umso lauter.
Aber ehrlich – wie soll man auch auf einen etwas verplant und verlegen wirkenden jungen hübschen Mann reagieren, der in der einen oder anderen Pause auch einfach mal etwas auf Englisch murmelt? Sein völlig ungeschminktes Auftreten lässt dann sogar jenen Fakt unwichtig werden, dass er eigentlich aus Düsseldorf kommt – und Ihr wisst ja, was das in Köln normalerweise für Konfliktpotential mit sich bringt!
Chris klingt live einfach noch tausendmal besser als in den Videos. Und auch wenn er so tut, als würde es ihn anstrengen – er gehört zu denjenigen Künstlern, die einfach beides können. Krasse Gesangslinien, Sprechgesang, beides klingt, als hätte er noch nie etwas Anderes gemacht.
Chris Brenner beweist mit seinem Auftritt jedenfalls seine Livequalitäten und mich würde es freuen, wenn er auch abseits der Videoplattform dauerhaft als ernstzunehmender Musiker Fuß fassen könnte. Potential dazu hat er zweifelsohne, denn meine Mama habe ich nach einem kleinen telefonischen Bericht vom Abend bereits von seiner Musik überzeugen können.
Und obwohl ich mich eigentlich in einen ganz anderen Song verliebt habe – mein Kopf singt nach seinem Auftritt genau eine Zeile weiter: „Keep in mind what the people say, keep in mind what the people saahaay…“
Durchatmen. Die Messlatte liegt nun verdammt weit oben. Daniel Nitt wird es also alles haben, aber gewiss nicht leicht. Schließlich habe ich ihn auch schon einige Male mehr als Chris live gesehen. Und da kann man es sich ja dann langsam erlauben, kritischer zu werden.
Zunächst ist es wohl weniger die Musik, die Aufsehen erregt. Die Bühnenbeleuchtung hat es wirklich in sich und beschert mir augenblicklich eine Mischung aus absoluter Begeisterung und sofortiger Blindheit.
Apropos Blindheit – Daniel Nitt zählt sich neuerdings zum Club der Brillenträger – angeblich um nicht mehr an der Kölner Autobahnausfahrt vorbeizufahren – und demonstriert dem Publikum deshalb erst einmal ausführlich die möglicherweise während der Show auftretenden Patzer. Das Publikum zeigt sich ehrlich: Das Aufeinandertreffen von Brille und Mikrofon klingen wie ein verdammt cooler Soundeffekt. Sollten also demnächst undefinierbare Soundeffekte in einem Song von Daniel Nitt auftauchen – Ihr wisst Bescheid!
Was dann also folgt ist eine Mischung bekannter und weniger bekannter Songs aus dem mal mehr und mal weniger experimentellen Repertoire eines Daniel Nitt. Man merkt, dass das alles hier seine persönliche Spielwiese ist. Hier tut er all das, was er sonst vermutlich nirgendwo in diesem Maße tun kann. Er hat Spaß daran, seine teils mit vielen Spielereien gespickten Songs bis auf den letzten Ton aus zu zelebrieren. Das kann an mancher Stelle etwas langatmig wirken, lädt aber oftmals auch einfach dazu ein, sich völlig in den Tracks zu verlieren. Auch überrascht er hin und wieder – etwa bei „Hallelujah“ mit ungewöhnlichen und vorher noch nie gehörten Versionen. Diese Gesamtsituation beschert mir immer wieder unglaubliche Gänsehaut.
Spätestens mit „Nothing but everything“ ist auch Karo wieder wach und vollständig bei Sinnen. Das klingt nämlich nach dem Sound, den ich bei Mark Forster schon als klar erkennbaren „Nitt’schen Einfluss“ bezeichnet habe. Elektronisch und tanzbar. Dieses Mal unterbricht Plaudertasche Daniel den Song aber, um uns groß und breit zu erklären, dass Paul Van Dyk einen Bühnenunfall hatte. Daraufhin zückt er seinen stilechten pinkfarbenen Selfie-Stick und sein Handy mit nur noch 20 Prozent Akku und filmt uns beim Singen des Ohrwurm-Refrains: „I’ll give you nothing but everything“. All die auf der Tour so entstandenen Ausschnitte möchte er am Ende zusammen in ein einziges Video packen und Paul zukommen lassen. „Gute Besserung, Paul!“
Ein Moment, der für mich wohl lange noch in Erinnerung bleiben wird, ist jener nach dem vermeintlich letzten Song. Alles bleibt still und Daniel guckt nur grinsend ins Publikum. „Ihr glaubt mir nicht!“ Wieso sollten wir auch?
Daniel lässt sich kurz darauf mit seiner Resonatorgitarre auf der Bar nieder. Man schießt sogar noch ein Gruppenfoto, ehe er den letzten Song – „You (Superman)“ zum Besten gibt und herzlich zum Mitsingen einlädt. „I think I found a friend in you…“
Trotz oder vielleicht auch wegen einiger kleiner (Text-)Patzer bleibt dieser Abend jedenfalls als unglaublich ehrlich, menschlich und einfach nur wunderschön in Erinnerung. Mein guter Rat an Euch lautet also: Schaut Euch beide Künstler einmal live an. Es lohnt sich.
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