Es gibt Menschen, die unterstützt man gern und es gibt Menschen, die unterstützt man noch lieber. Renke Ehmcke von Zeitstrafe ist ein Dude, für den ich meine Hand ins Feuer legen würde. Klar ließ ich mir dann den Besuch auf der Tour zum 15. Labelgeburtstag nicht nehmen…
Wer sich auch nur ein bisschen mit der deutschen Punkszene beschäftigt, der sollte früher oder später auf den sympathischen Hamburger Renke Ehmcke und sein Baby Zeitstrafe stoßen. Von A wie Adolar bis T wie Trip Fontaine deckt das unabhängige Musiklabel zwar nicht jeden Buchstaben des Alphabets ab, aber muss es auch gar nicht. Bei Zeitstrafe geht’s nämlich nicht um große Zahlen, sondern um eine gute Grundhaltung und noch viel wichtiger: Die perfekte Chemie.
Fünfzehn Jahre ist das Label mit fantastischen Bands wie Antitainment, Captain Planet, Grand Griffon, Sandlotkids, Escapado oder Matula nun bereits geworden. Weil das Älterwerden aber eigentlich automatisch passiert, solange man längeren Atem als Andere beweist und sein verdammtes Herz in das alles steckt, ist das jetzt auch eigentlich kein Grund zum Feiern. Oder so Ähnlich jedenfalls.
Besonders wenig Grund zum Feiern gab’s von Anfang bis Mitte Oktober in insgesamt sechs Städten: Berlin, München, Wien, Wiesbaden, Köln und Hamburg. Klar hab ich als großer Fan des Labels meine Sachen gepackt und bin kurzerhand rüber ins Gebäude 9 gedüst, um mich selbst von den Nicht-Feierlichkeiten überzeugen zu lassen…
Es ist Freitagabend, die „Personen im Gleis“ irgendwo kurz vor Köln wurden endlich vertrieben und ich hetze zu einer für mich mittlerweile geschichtsträchtigen Location, dem Gebäude 9. Gerade angekommen stelle ich fest: Den Stress hätte ich mir gar nicht machen müssen. Auch eine knappe halbe Stunde nach angekündigter Einlasszeit ist die Lage hier noch mehr als entspannt. Und das, obwohl der Schuppen heute noch gerappelt voll werden soll.
Kleine Spende an die Geflüchtetenhilfe (Ehrensache!), Wiedersehensfreude mit Renke und wunderbaren Konzertbekanntschaften. Die bisher eher so gemischte Laune ist passé. Ich hab Bock. Los geht’s mit einem Special Guest der Tour: Einer Band, die bereits namentlich meinen Gewohnheiten widerspricht. Rauchen schauen auf den ersten Blick so harmlos aus, passen damit nur allzu gut in das erwartete Bild der Lehrer*innen-Bands… und prügeln dann so richtig musikalisch drauf los. Auf diesen Schock muss ich erstmal klar kommen.
Kaum haben Rauchen das Publikum zum ersten Mal verunsichert (was ich per se gar nicht so verkehrt finde), kommt auch schon die Riot Grrrl Band Deutsche Laichen um die Ecke. Und obwohl ich mir noch vorher fest vorgenommen hatte, mir den Auftritt dieser Gruppe nicht komplett anzusehen, verbleibe ich letztlich doch im Konzertraum. Denn eins muss ich Deutsche Laichen lassen: Ich mag ihre Ausstrahlung, ihren Spaß am Musizieren und die damit verbundene Angstlosigkeit. On top singt die Band dann auch noch vom Menstruieren. Dankeschön, bitte bitte bitte genau damit weitermachen!
Umso größer ist der Kontrast zur nächsten Band des Abends. Nachdem ich Matula im Rahmen des Green Juice Special #2 technisch und musikalisch gut, aber als etwas eintönig empfunden hatte, hinterlassen sie mit ihrem Ende August erschienenen Album Schwere im Gepäck doch wirklich einen feinen zweiten Eindruck bei mir. Und auch das Publikum heizt langsam weiter auf. Fein!
Ich mag jetzt auch gar nicht lange mit Phrasen um mich hauen, aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wer auch nur ein einziges Mal ein Konzert von Captain Planet besucht hat, der weiß ganz genau, wie der Rest des Abends verläuft – vor allem mit dem Hintergedanken im Kopf, dass es sich hierbei ja um die einzige Tour der Band in diesem Jahr handelt: Laute Mitsingchöre, wilde Crowdsurfing-Einlagen und verschwitzte Menschen treffen auf charmante kleine Features und irre viel Liebe für einfach alles.
Nach all dem Lob für einen absolut fantastischen musikalisch mehr als abwechslungsreichen Abend möchte ich dann aber eine Sache in den Raum werfen, die sich weniger an die fantastischen Organisator*innen und mehr an Konzertgänger*innen im Allgemeinen richtet: Ich bin nun keine Person, die sich bei jedem Körperkontakt mit fremden Menschen sofort doof anstellt. Das wäre als regelmäßige Konzertgängerin dann schon reichlich dämlich. Dennoch muss ich leider sagen, dass ich an diesem Abend nicht die einzige Konzertbesucherin war, welche sich an der einen oder anderen Stelle etwas arg bedrängt gefühlt hat. Enge ausverkaufte Locations sind das Eine, fremde Weichteile am Hintern trotz ausreichend vorhandenen Platzes das Andere. Ihr müsst euch nicht in Richtung Bühne recken und strecken, wenn dies beinhaltet, euch möglichst nah an die Person vor euch zu pressen. Und ihr müsst auch nicht alle fünf Minuten durch das rappelvolle Publikum laufen. Seid doch bitte einfach keine Arschlöcher, okay?
Alles in allem bleibt mit dieser Abend dann aber tatsächlich überwiegend als positives Erlebnis im grauen Alltag im Gedächtnis. Chapeau und auf die nächsten 15 Jahre, Zeitstrafe!
Fotos: 15 Jahre Zeitstrafe in Köln
Transparenzhinweis: Ich durfte das Festival kostenlos besuchen. Meine Persönliche Meinung zum Event bleibt davon unberührt.