Manchmal stolpere ich abends über ein Video, dann noch eines, und plötzlich ist es mitten in der Nacht. Ob Blind Auditions, Battles & Compilations von The Voice oder Golden Buzzer-Momente aus America’s & Britain’s Got Talent… Es sind diese Augenblicke, die mich berühren, die mich mitreißen und die mich mit einem Gefühl zurücklassen, das ich nur schwer in Worte fassen kann. Vielleicht ist es Freude, vielleicht ist es Hoffnung. Vielleicht ist es auch einfach das warme Gefühl, dass die Welt doch ein bisschen heller sein kann als sie manchmal scheint.
Warum Castingshows emotional wirken können
Es gibt Castingshows – und es gibt Castingshows. Ihr Ruf ist insgesamt eher schlecht, denkt man doch eher an veraltete Formate auf Kosten armer Leute, die gar nicht merken oder sogar in Kauf nehmen, dass sich über sie lustig gemacht wird. Doch einige dieser Shows schaffen stattdessen Momente, die uns tief berühren und uns mit positiven Gefühlen erfüllen. Aber warum funktioniert das eigentlich so gut? Wie lösen sie so intensive Emotionen aus? Und wieso fühlt es sich nach dem Schauen dieser Videos oft an, als wäre etwas in mir geheilt?
Fangen wir mit ein paar nüchternen Hintergrundinformationen an: Die emotionale Wirkung von Castingshows lässt sich grundsätzlich auf ein paar psychologische Mechanismen herunterbrechen:
Parasoziale Beziehungen
Yay, mein Bachelorarbeits-Thema!
Wir entwickeln eine Art einseitige Bindung zu den Kandidat*innen oder Jurymitgliedern bzw. Coaches – und das ganz ähnlich wie zu Freund*innen. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen realen und fiktiven Beziehungen, weshalb wir auch echte Freude empfinden können, wenn eine fremde Person Erfolg hat oder eine beeindruckende Performance liefert. Diese Bindungen stärken unser Gefühl von Zugehörigkeit und können sogar das Gefühl Einsamkeit reduzieren.
Empathie und Meta-Emotionen
Castingshows bieten uns die Möglichkeit, eine breite Palette von Gefühlen zu erleben – von Mitgefühl bis hin zu purer Freude. Besonders stark wirken Meta-Emotionen: Wir sind dankbar dafür, überhaupt solche intensiven Emotionen empfinden zu können. Das fördert unsere Empathie und unser Mitgefühl für andere Menschen.
Authentizität und Hoffnung
Die Authentizität der Kandidat*innen verstärkt die emotionale Wirkung enorm. Und wenn dann auch noch ein schüchternes Kind mit Plüschtier vorm Mikro oder eine nicht ganz so normschöne Person nach einem letzten ängstlichen Blick zu seinen Angehörigen plötzlich mit einer beeindruckenden Performance überrascht, spiegelt das eine universelle Hoffnung wider: das Potenzial, über sich hinauszuwachsen. Solche Momente zeigen uns, dass Großes möglich ist – für die Talente auf der Bühne genauso wie für uns selbst.
Gemeinschaftserlebnisse
Ob extrem emotionale Golden Buzzer mit Zeitlupeneffekt bei Britain’s und America’s Got Talent oder leidenschaftliche Kämpfe der Coaches bei The Voice Kids – solche Szenen vermitteln trotz des großen Wettbewerbs eine positive Energie und verstärken das Gefühl von Gemeinschaft. Studien zeigen: Gemeinsame emotionale Erlebnisse steigern unser Wohlbefinden und stärken soziale Bindungen.
Die Magie von The Voice Kids
Besonders The Voice Kids hat für mich persönlich eine ganz eigene und besondere Magie: Es ist nicht nur das musikalische Talent, sondern auch der Umgang mit den Kindern, der mich jedes Mal aufs Neue begeistert. Da stehen oft zunächst schüchtern wirkende kleine Menschen auf der Bühne und dann legen sie eine Performance hin, die einem den Atem raubt. Dieser Kontrast zwischen kindlicher Unschuld und beeindruckender (Bühnen-)Reife macht etwas mit mir. Im Gegensatz dazu wirken viele Kandidat*innen der weltweiten Erwachsenen-Versionen von The Voice dabei oft schon ein Stück weit zu „fertig“ – sie haben ihren Stil gefunden und wissen schon genauer, wie sie sich präsentieren wollen. Das kann noch immer beeindruckend sein, aber es fehlt manchmal dieser Wow-Effekt, der bei Kindern einfach viel häufiger auftritt.
Kampf der Coaches: Mehr als nur Show
In den Blind Auditions zeigt sich der wahre Wille der Coaches, um die besten Talente zu kämpfen. Ihre großen Gesten, kreativen Aktionen und manchmal auch humorvollen Einlagen sind nicht bloß Show – sie sind Ausdruck von Leidenschaft und Begeisterung. Es geht darum, die Kinder zu überzeugen, sich für ihr Team zu entscheiden, und das tun sie mit vollem Einsatz. So entstehen oftmals nie erahnte Duette zwischen den Coaches selbst oder zwischen Coaches und Talenten – manchmal sogar mit Familienmitgliedern der Kinder. Diese musikalischen Augenblicke zeigen nicht nur die musikalische Vielfalt der Coaches, sondern auch ihre Bereitschaft, sich voll auf die Talente einzulassen und ihnen besondere Erlebnisse zu ermöglichen. Sie machen deutlich: Es geht nicht nur um den Wettbewerb oder darum, wer am Ende gewinnt; es geht darum, gemeinsam etwas Schönes zu erschaffen.
Mute-Buzzer und kreative Coach-Momente
Aus der aktuellen Staffel schießen mir da schon direkt mehrere beispielhafte Momente in den Kopf, die zeigen, wie viele tolle TV-Momente in dieser Sendung entstehen können: Darunter etwa ein gemeinsamer Line Dance, eine Gesangseinlage für und mit dem Vater eines Talents, ein Dance-Battle oder – ganz neu – die Verwendung des „Mute“-Buttons. Ganz besonders ist mir dabei der Kampf um ein Talent im Kopf geblieben: Coach Ayliva drückt den „Mute“-Button. Ab diesem Zeitpunkt dürfen die anderen Coaches bis nach der Entscheidung des Talents nicht mehr sprechen. Doch statt einfach still sitzen zu bleiben, setzen sie alles daran, trotzdem aufzufallen: Wincent Weiss hantiert mit riesigen Pfeilen und robbt verzweifelt über den Boden, Clueso präsentiert einen riesigen „Komm ins Team Clueso“-Banner und Stefanie Kloß von Silbermond setzt sich ganz im Stil von Ayliva eine Schleife auf den Kopf und präsentiert dem hart umkämpften Talent ein Video von Egon Werler, einem überaus talentierten früheren Gewinner aus den Reihen ihres Teams. Solche Szenen sind nicht nur unterhaltsam; sie zeigen auch eine Leichtigkeit und Freude am Miteinander, die einfach ansteckend ist.
Was ich an The Voice Kids ebenfalls extrem schätze, sind die kleinen Gesten: Teamgeschenke wie Mini-Gitarren oder Bauchtaschen mit Tourpässen für die Kinder; Videonachrichten von bekannten Musiker*innen; Fotos für ausgeschiedene Talente – all das vermittelt Wertschätzung und zeigt den Kindern: „Du bist wichtig.“ Es geht nicht nur darum zu gewinnen; es geht darum zu wachsen und gesehen zu werden.
Meine liebsten The Voice Kids Performances
Um noch einmal zu unterstreichen, wie viel mir speziell an The Voice Kids liegt, hier ein paar meiner liebsten Performances & Situationen aus dieser Show (Stand: Mitte März 2025).
Auditions & Battles
Obwohl ich sicher auch viele Clips weltweit raussuchen könnte, fokussiere ich mich hierbei mal nur auf ein paar Auftritte der deutschen Version der Show, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
John Legend – All Of Me (Jasmin, Richard) | Battles | The Voice Kids 2014
Evanescence – Bring Me To Life (Duy/Solomia/Sophie) | The Voice Kids 2015 | Battles | SAT.1
Conchita Wurst – Rise Like A Phoenix (Noël) | Blind Auditions | The Voice Kids 2016 | SAT.1
Radiohead – Creep (Mimi & Josefin) | Blind Auditions | The Voice Kids 2019
Leona Lewis – Run (Lisa-Marie) | Blind Auditions | The Voice Kids 2020
Christina Perri – Jar of Hearts (Kiara) | Blind Auditions | The Voice Kids 2021
Max Prosa – Flügel (Egon) | The Voice Kids 2021 | Blind Auditions
Julia Michaels – Issues (Alicia & Jasmina) | Blind Auditions | The Voice Kids 2021
Disney’s Vaiana – Ich Bin Bereit (Henriette/Niklas/Daria) | Battles | The Voice Kids 2021
Jessie J – Flashlight (Fia) | Blind Auditions | The Voice Kids 2023
Eminem – Mockingbird (Emma) | Blind Auditions | The Voice Kids 2023
Duncan Laurence – Arcade (Toby) | Knockouts | The Voice Kids 2023
Jeremias – Grüne Augen Lügen Nicht (Ellice) | Blind Auditions | The Voice Kids 2023
Wincent Weiss – Wie gemalt (Luis & Mathis) | Blind Auditions | The Voice Kids 2023
Imagine Dragons – Believer (Martha und Nora) | Blind Auditions | The Voice Kids 2023
Evanescence – My Immortal (Madeleine) | Blind Auditions | The Voice Kids 2024
Nina Chuba -Ich hass dich (Rosalie) | Blinds | The Voice Kids 2024
Billie Eilish – Happier Than Ever (Frida) | Blind Auditions | The Voice Kids 2024
Måneskin – Beggin‘ (Ananthu) | Blind Auditions | The Voice Kids 2025
Teddy Swims – Lose Control (Tuana) | Blind Auditions (inkl. Coach-Kampf mit Mute-Button!) | The Voice Kids 2025
Benson Boone – In The Stars (Sanvi) | Blind Auditions | The Voice Kids 2025
Nemo – The Code (Anna) | Blind Auditions | The Voice Kids 2025
Gesangseinlagen der Coaches und andere sehenswerte Clips
Neben dem oben bereits gezeigten Kampf um Tuana teile ich hier stellvertretend für so viele tolle Momente zumindest ein paar der für mich schönsten Einblicke in die Coach-Kämpfe bei The Voice Kids.
Die Fantastischen Vier – MFG (Alvaro Soler & Michi & Smudo) | The Voice Kids 2021 | Blind Auditions
Silbermond – Sinfonía (Alvaro Soler) | The Voice Kids 2021 | Blind Auditions
Alvaro & Wincent: „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys | The Voice Kids 2022
Wincent Weiss‘ Interpretation von „Wie soll ein Mensch das ertragen“ | The Voice Kids 2022
Romantisches Duett: Coaches Alvaro & Lena am Mini-Klavier | The Voice Kids 2023
Bromance-Moment bei Wincent Weiss & Clueso: „Zusammen“ sind sie toll! | Blinds | The Voice Kids 2025
Fantastisches Freestyle-Trio: Ayliva, Clueso & Piet drehen voll auf! | Blinds | The Voice Kids 2025
Stefanie & Clueso sorgen mit „Keinen Zentimeter“ für Gänsehaut! | Blinds | The Voice Kids 2025
Letztes Jahr kein Buzzer, heute mit Wincent Weiss auf der Bühne! | Blinds | The Voice Kids 2025
Traum geht in Erfüllung: Ayliva singt zusammen mit Athanasios | Blind Auditions | The Voice Kids 2025
Man muss nicht gewinnen, um erfolgreich zu sein
Dass man eine Show wirklich nicht gewinnen muss, um erfolgreich zu sein, wurde schon vielfach bewiesen:
Zoe Wees startete nach ihrer Teilnahme an The Voice Kids eine beeindruckende internationale Karriere. Mit Hits wie „Control“ erreichte sie Millionen Streams und erlangte weltweite Anerkennung.
Mike Singer nutzte die Castingshow ebenfalls als Sprungbrett, veröffentlichte mehrere Nummer-eins-Alben und etablierte sich als erfolgreicher Popsänger.
Auch Loi wurde durch ihre Finalteilnahme bei The Voice Kids bekannt und gewann später, genau wie Mike, eine Staffel von The Masked Singer.
Doch auch wenn man sich bei den Erwachsenen von The Voice in Deutschland umsieht, haben verschiedene Teilnehmer*innen größeren Erfolg als die jeweiligen Staffelsieger*innen, allen voran Michael Schulte (3. Platz), Max Giesinger (4. Platz) und Mathea (kam bis in die Sing-Offs).
Weitere Stars, die durch Castingshows berühmt wurden
Deutsche Stars
Wo wir gerade noch beim Thema The Voice waren – wusstest du schon, dass Coach Wincent Weiss im Jahr 2013 an Deutschland sucht den Superstar teilnahm? Er erreichte damals lediglich Platz 29. Sein Durchbruch gelang ihm erst später mit einer YouTube-Coverversion des Songs „Unter meiner Haut“ von Elif (die wiederum bei Popstars den zweiten Platz erreicht hat), die vom DJ-Duo Gestört aber GeiL geremixt wurde.
Doch auch andere deutsche und internationale Castingshows haben Talente hervorgebracht, die trotz Niederlagen beeindruckende Karrieren aufgebaut haben:
Die No Angels und Bro’Sis gingen als Siegerbands aus Popstars hervor und prägen zum Teil bis heute die Musikszene – wenn auch seitens früherer Mitglieder von Bro’Sis mittlerweile etwas anders als gedacht.
Auch Alexander Klaws, der erste Gewinner von DsdS (Deutschland sucht den Superstar), hat sich bis heute vor allem als erfolgreicher Musicaldarsteller etabliert.
Max Mutzke gewann Stefan Raabs SSDSGPS („Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star“) und wurde direkt zum Eurovision Song Contest geschickt, wo er eine nachhaltige Karriere startete.
Lena Meyer-Landrut gewann nicht nur Unser Star für Oslo, sondern auch gleich den ganzen Eurovision Song Contest und wurde so zumindest zeitweise europaweit bekannt.
Internationale Stars
Kelly Clarkson gewann 2002 die erste Staffel von American Idol. Neben ihrer überaus erfolgreichen Musikkarriere begeistert sie seit 2019 in ihrer preisgekrönten Kelly Clarkson Show mit den ikonischen „Kellyoke“-Performances, in denen sie bekannte Songs neu interpretiert. Außerdem inspirierte sie Taylor Swift dazu, ihre Alben als „Taylor’s Versions“ neu aufzunehmen – ein wegweisender Schritt in der Musikindustrie.
One Direction, gegründet während der siebten Staffel von The X Factor UK, erreichte trotz eines dritten Platzes weltweiten Ruhm und wurde zu einer der erfolgreichsten Boybands aller Zeiten. Besonders Harry Styles stieg nach der Bandauflösung zu einem der größten Popstars auf.
Adam Lambert konnte American Idol zwar nicht für sich entscheiden, ist heute aber als Sänger von Queen auf der ganzen Welt unterwegs.
Camila Cabello wurde 2012 durch ihre Teilnahme an The X Factor bekannt. Juror Simon Cowell formierte mit ihr und vier weiteren Teilnehmerinnen die Girlgroup Fifth Harmony, die trotz eines dritten Platzes in der Show große Erfolge feierte und den Grundstein für ihre spätere Solokarriere legte.
Benson Boone wurde 2021 durch seine Teilnahme an der 19. Staffel von American Idol bekannt, wo er es bis in die Top 24 schaffte, bevor er sich freiwillig aus der Sendung zurückzog, um seine Karriere unabhängig fortzusetzen.
Es zeigt sich: Ein Auftritt in einer Castingshow kann ein Karrieresprungbrett sein, ganz egal, wie die Reise dort endet.
Castingshows als Stimmungsaufheller
Ich hoffe, du hast dich zumindest in ein paar der Clips reingeklickt und kannst meine Freude nun ein Stück weit nachempfinden. Für mich persönlich sind manche Castingsshows kleine Inseln der Freude in einer Welt voller Hektik und Stress. Sie erinnern daran, wie schön es sein kann, sich über andere zu freuen; sie zeigen uns Menschen von ihrer besten Seite; und sie lassen uns für einen kurzen Moment vergessen, was draußen alles schief läuft.
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich immer wieder zurückkomme – zu den Blind Auditions von The Voice Kids und den Highlight-Clips sämtlicher internationaler Staffeln, zu den Golden Buzzern von America’s & Britain’s Got Talent oder auch einfach zu den Geschichten hinter den Talenten: Weil sie mir zumindest für ein paar Momente zeigen, dass nicht alles da draußen immer schlecht sein muss.
Beitragsbild: © Joyn / Claudius Pflug