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Als ich an diesem Mittwochabend die Stadthalle Bielefeld betrat, wurde ein Gedanke immer lauter: ‚Wenn Timon Krause wirklich Gedanken und Körper lesen kann, dann hoffe ich, dass ich kein gefundenes Fressen für ihn bin, weil er die Angst in meinen Augen erkennt.‘ Ich liebe zwar die Herausforderung in einem gewissen sicheren Rahmen, erkenne aber auch gut, wenn mich etwas oder jemand ein Stück weit einschüchtert.

Schon früh war ich an Zauberei, Hypnose und Mentalismus interessiert. Die Tricks der größten Zauberer? The Next Uri Geller? Diverse Bücher über das Lesen von Menschen?
Hab ich alles verschlungen. So wunderte es mich nur wenig, dass Timon mich 2020 das erste Mal in seinen Bann zog, als er Joko und Klaas hinters Licht führte. Es folgten diverse andere Sendungen über den Kölner Treff bis hin zur Hirschhausen-Show – Was kann der Mensch und in mir blieb eine Mischung aus Faszination und Angst von seiner Fähigkeit zurück, scheinbar mühelos in die Köpfe der Menschen einzudringen, sich dabei aber nicht als großer Zauberer zu verkaufen. Und auch Fehler sind für ihn in Ordnung und gehören dazu.
Theoretisch hätte ich ihn auch schon eher auf dem Schirm haben können, weil er im Jahr 2016 bei Penn & Teller: Fool Us nicht durchschaut werden konnte und ich die Show durch meinen Freund kenne. Aber wahrscheinlich hätte ich die Verbindung erst viel später geknüpft, da er in der Sendung damals sagte, er käme aus Amsterdam. Das war zu dem Zeitpunkt richtig, weil er dort eine Zeit lang Philosophie studierte. Eigentlich wuchs er aber im schönen Münsterland auf.

Messias live in Bielefeld

Eine Durchsage hallte durch das Foyer der Stadthalle: Timon – oder besser gesagt seine voraufgezeichnete Stimme – erzählte etwas von Zetteln und einer Box für ein Gedankenlese-Experiment. Ehe wir die sagenumwobene Box gefunden haben, waren die Zettel längst vergriffen und tatsächlich spürte ich in mir sogar einen kleinen Schimmer an Erleichterung. So wurde mir nämlich die Entscheidung abgenommen, ob ich mich der Herausforderung des Experiments stellen soll oder nicht.
Doch was ist nun von einem Abend zu erwarten, der unter dem Namen Messias läuft? Der Titel wirkt ja schon etwas prätentiös. Ist der Mann denn nach seinem tollen vierten Platz bei der Tanz-Show Let’s Dance plötzlich komplett größenwahnsinnig geworden?

Der Bühnenhintergrund der „Messias“-Tour mag den Eindruck zunächst verstärken: Er erinnert an eine wilde Kombination aus Kirchenfenster. Statt Kreuzen wie in der Kirche hängen dort zwei Beleuchtete T. In der Mitte befindet sich ein schmaler rechteckiger Bildschirm in vertikaler Ausrichtung. Auf dem Weg dahin befindet sich eine kleine Treppe. Am linken Rand der Bühne lässt sich in musikalisches Setting erahnen. Die dort befindlichen Instrumente sind wirklich nicht nur Dekoration, denn Timon hat mit seinem Frisuren-Zwilling Henning Neidhardt (u. a. am Keyboard) und Kevin Wolf (Drums) eine eigene kleine Band mit dabei. Für Letzteren ist diese Show in Bielefeld sogar ein Heimspiel.

Zu Beginn des Abends treffen ziemlich epische an Kirchenklänge angelehnte Rockmusik auf eine tolle Lichtshow in den passenden Farben zum angedeuteten Kirchenfenster. Da seine Tour noch eine ganze Reihe an Terminen vor sich hat, möchte ich die Show gar nicht komplett spoilern.

Was ich aber sagen kann: Manche Skills, die er bereits im TV bewiesen hat, muss Timon wohl weiter perfektioniert haben. Bekannt ist er vielen Leuten ja als der Kerl, der deine PIN-Nummer errät. Wer etwas tiefer in seinen Auftritten gräbt, findet auch Aufzeichnungen von wilden Runden Schere-Stein-Papier, dem Beantworten unbekannter Fragen oder sogar Hypnoseübungen. Manche seiner Erscheinungen, etwa zu Corona-Zeiten bei Late Night Berlin, wirken dabei etwas bemühter als andere.

Live in Bielefeld wirkte aber alles einfach komplett mühelos und ging vor allem in einer Geschwindigkeit, die mein Hirn hat regelrecht schmelzen lassen. Mit viel Humor und unerwarteten Wendungen sorgt Timon Krause dafür, dass kaum etwas davon wirklich vorhersehbar scheint. Während er in einem Moment banale Witze reißt, zeigt er im nächsten Augenblick seine sehr verletzliche Seite und berichtet von der Angst vorm Kinderkriegen oder dem therapeutisch begleiteten Einsatz von LSD als ernstzunehmende Behandlung gegen Depressionen.
Hier und da erklärt er dir sogar wie auch in seinen sozialen Medien psychologische Tricks für deinen Alltag und Gedächtnis. Und obwohl er betont, dass er nicht wahrsagen und auch keine ärztlichen Ratschläge geben kann, fühlt sich die Show zum Teil therapeutisch an, zumindest aus Sicht einer seelisch angeknacksten Person wie mir.

Wann immer möglich, bezieht er an den verschiedensten Stellen seines Programms sein Publikum mit ein. Dabei ist egal, ob du ganz vorn oder eher auf den hinteren Plätzen sitzt. Für mich fühlten sich die Auswahlverfahren einzelner Zuschauer*innen an diesem Abend ein bisschen wie in der Schule an, wenn ich mich schlecht auf ein Thema vorbereitet habe und ich war froh, die Show einfach für mich genießen zu können. Einer dieser Augenblicke faszinierte mich dann aber trotzdem und ich bin froh, das einmal von meiner Bucket List gestrichen haben zu können: Ich wollte schon immer einmal wissen, ob ich für Hypnose empfänglich bin. Anhand einer gemeinsamen Übung stellte sich heraus: Tatsächlich springe ich wohl ganz gut auf Suggestionen im Liveshow-Kontext an. Timon ist es allerdings wichtig zu betonen, dass das trotzdem noch einen Unterschied zur therapeutischen Hypnose macht.
An dieser Stelle noch wichtig zu erwähnen ist vielleicht die Tatsache, dass es einen Teil in der Show gibt, den offensichtlich nicht alle Leute im Bielefelder Publikum so positiv aufgefasst haben. Grob gesagt geht es hier um die Hypnose einer Einzelperson, die einen gewissen Part an Fremdsteuerung durch das Publikum beinhaltet. Und genau da schrillten die Alarmglocken: Ist das moralisch in Ordnung? Wenn du jetzt an eine Hypnose denkst, in der Leute in einer fremden Sprache kommunizieren oder sich wie ein Tier verhalten, dann kann ich dich beruhigen, denn um so etwas geht es hier nicht. Es ist aber so, dass der Act schon über einen etwas längeren Zeitraum abläuft. Für mich war an dieser Stelle vor allem eins wichtig: Meines Erachtens nach findet dieser Part der Show in einem sicheren Rahmen statt. Das Fotografieren und Filmen ist währenddessen strengstens untersagt und verschiedene Menschen haben ein Auge darauf, dass nichts passieren kann. Im Anschluss wird mit der hypnotisierten Person eingecheckt, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist.
Timon ist sich darüber bewusst, dass diese Übung manchen Leuten im Publikum sauer aufstoßen könnte und thematisiert das entsprechend im Programm.

Das Programm geht inklusive Pause knapp zweieinhalb Stunden. Für mich persönlich verging die Zeit allerdings wie im Flug.
Was mich extrem überrascht und auch sehr gefreut hat: Obwohl er nicht sonderlich viel Zeit hatte, setzte sich Timon nach der Show trotzdem noch an einen kleinen Autogrammtisch im Foyer und nahm sich Zeit für seine Fans. Durch eine extrem gute Organisation dauerte es wirklich nicht lange und ich konnte kurz mit ihm über seine einschüchternde Wirkung dank seines krassen Charismas sprechen und mir nebenbei ein Autogramm und Foto abholen (auf dem wir beide herrlich fertig vom Abend aussehen). Dabei merkte ich direkt, was er damit meinte, dass er Menschen natürlich nicht permanent lesen kann und deshalb zwischen voller Konzentration im Bühnenmodus und etwas verklatschtem Timon im Normal-Modus switcht. Auch wenn mich der Mentalisten-Timon ziemlich einschüchtert, sind mir beide zumindest grundlegend sympathisch.

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