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[dropcap]W[/dropcap]ir schnappen gerade noch die letzten Worte eines jungen Mannes auf, welcher aus Syrien bis nach Deutschland geflüchtet kam. Es fühlt sich ziemlich surreal an. Applaus und Cut. Ein Mädchen berichtet in diesem typischen Tonfall eines Poetry Slams von Dingen, die sie so richtig nerven und bewegt die Menschen zum Mitmachen.

Ja, es mag sein, dass wir schon recht früh zum Welcome Festival 2.0 in Paderborn angereist sind. Doch das musikalische Line-Up spricht einfach für sich: Lattengerade, Abramowicz, Call me on Friday, Aufbau West und Radio Havanna. Es wäre ein Jammer, würden wir uns dies entgehen lassen!
Zunächst die wichtigsten Dinge voraus: Wir schreiben Samstag, den 12. Dezember 2015 und der AStA der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn hat zum Welcome Festival 2.0 aufgerufen. „Welcome Festival“ bedeutet in diesem Fall eins: Alle in diesen Abend involvierten Leute heißen Heimatvertriebene Willkommen, die Bands treten ohne Anspruch auf Gage auf und die gesamten Einnahmen gehen in die Arbeit mit Flüchtlingen in Paderborn. Schon allein das war für uns eigentlich Grund genug, diesem kleinen Festival einen Besuch abzustatten.

Um die Zeit bis zum Abend besonders sinnvoll zu nutzen, findet bereits im Vorfeld eine Veranstaltung unter dem Namen „(K)ein Fluchtnachmittag“ statt – von Vorträgen bis hin zu Erfahrungsberichten und Poetry Slams wird ausgiebig zum Thema informiert, aufgeklärt, aber durchaus auch einfach nur unterhalten.

Wir geben es zu, wir sind recht gut thematisch aufgeklärt und daher eher auf den musikalischen Teil des Tages gespannt. Wir lassen uns also nach kurzer Gasthörerschaft in der Informationsveranstaltung dann doch im Eingangsbereich in einer Sitzecke nieder und beobachten alle Beteiligten, begrüßen die uns bekannten Bands und beobachten alle beim Herumwuseln. Es ist immer wieder spannend, noch finale Klärungen des Ablaufs zu erhaschen bis man die Gesprächsinhalte unter der Lautstärke der Soundchecks schließlich kaum noch erahnen kann. Damit wird uns dann aber immerhin eines bewusst: Verdammt, das wird laut!

Wir behaupten unseren Platz, freuen uns riesig über die kostenlose Garderobe und sind von der Theorie des Einlasssystems eigentlich ziemlich begeistert. Wer unter 18 Jahren alt ist, bekommt einen Stempel auf den Arm, darüber hinaus gibt es nach Vorlage des Personalausweise einen weiteren Stempel zur Validierung des Alters. So sollen die Securitykräfte und Verantwortlichen angemessen reagieren können. Das gefällt uns!

Mittlerweile haben wir sogar einen Zeitplan zugesteckt bekommen und sind dementsprechend gespannt, inwieweit dieser denn eingehalten werden wird. Der Einlass verspätet sich auf jeden Fall schon einmal ein wenig, was aber nicht weiter tragisch ist, da sich die Leute ohnehin vor dem Gebäude der Kulturwerkstatt recht gut zu unterhalten scheinen. Uns hingegen wird langsam aber sicher kalt.

Schon vor Beginn der eigentlichen Konzerte bemerken wir etwas, was wir so nicht erwartet hätten: bereits jetzt scheinen so manche Menschen schon recht „gut dabei“ zu sein. An Bier scheint es an diesem Abend gewiss nicht zu mangeln.

Die erste Band nennt sich Lattengerade und hat gefühlt ihren kompletten Fanclub mit zum Welcome Festival geschleppt. Die Band spielt eine Mischung aus Ska und Punk, das Publikum tanzt und feiert bereits jetzt schon ziemlich ausgelassen und legt sich dabei hier und da auch mal unter großem Lachen auf die Nase, ohne sich dabei jedoch ernsthaft zu verletzen. Stattdessen beobachtet man hier, wie den auf den Boden gelandeten Menschen vorbildlich aufgeholfen wird, um dann auch gleich wieder munter weiter tanzen zu können.

Die Veranstalter informiert, reagieren diese sofort und sorgen dafür, dass man nicht mehr ständig vor der Bühne ausrutscht. Könnte nämlich sonst echt gefährlich enden. Danke für das schnelle Eingreifen!

Abramowicz gehörten bis hierhin zu den Namen, welche wir nur mal so aufgeschnappt und doch nicht genauer beleuchtet hatten. Umso besser nun unsere Erkenntnis: Die sind ’ne geile Liveband! Irgendwie haben sie ja etwas von der Leichtigkeit von Mando Diao und doch etwas so Eigenes, sind musikalisch gesehen nicht „zu hart“, vielmehr einfach wunderbar tanzbar. Abramowicz machen Bock auf mehr und ich bekomme sie seit dem Festival wirklich nicht mehr aus dem Kopf. Ein absoluter Geheimtipp!

Mit Call me on friday wird es da schon wieder deutlich lauter und aufregender. Die Lokalmatadore schrammeln fachgerecht drauf los und würde Karo es nicht einfach nur zu laut finden und wäre ich nicht ein wenig mit der verdammt guten Stimmung im Saal überfordert, hätte ich mich wahrscheinlich irgendwo in einem Moshpit oder Ähnlichem wiedergefunden. Ich erinnere mich eigentlich nur noch daran, wie ich nach meiner Fotosession im Saal ins Foyer zu Karo ging und ihr erzählte, dass die Musik gerade voll mein Ding sei.

Während des Auftritts von Aufbau West wird mir der Alkoholpegel der anwesenden Menschen dann persönlich wirklich zu anstrengend. Ich sollte an dieser Stelle jedoch betonen, dass ich so etwas einfach nicht gewohnt bin und noch andere seltsame Dinge an diesem Abend erlebt habe, die meine Laune ziemlich gedrückt haben. Abseits meiner eigenen Laune ist die Stimmung aber so ziemlich auf dem Höhepunkt. Spaß liegt in der Luft, man tanzt ausgelassen. Die Gruppe um Frontmann Florian Berres schlägt sich nach dem Ausstieg von Johannes auch mit einem Ersatzbassisten ziemlich gut. Was mich persönlich sehr freut, ist die schnellere Version von „Zweitbester“, welche durch ihre wesentlich stärker treibende Instrumentalisierung einfach hervorragend zur Partylaune des Publikums passt. So gratuliert dieses beispielsweise auch Florians Bruder Sascha lautstark nachträglich zum Geburtstag oder stimmt über einen Teil der Setlist ab.

Nun ist es bereits kurz nach null Uhr und wir fragen uns, wie es zur extremen Verschiebung des Zeitplans kam. Jedenfalls zeigen sich nun beide Seiten der Alterskontrolle anhand der Einlassstempel. Es wird leerer im Saal und soll sich bis zum letzten Gig auch nicht mehr so stark wie vorher füllen. Doch das soll sich nicht als Nachteil herausstellen. Ganz im Gegenteil sogar.

Da ich mir mittlerweile aufgrund zu vieler Geschehnisse eine „ist mir gerade alles egal“-Haltung antrainiert habe, freue ich mich noch so viel mehr als ohnehin schon auf den Auftritt von Radio Havanna. Denn wenn mit denen nun eines wirklich gute Laune bringt, dann wohl das Mitgrölen, Mitsingen und Moshen, zarte Versuche von niedlichen Walls of Death und Circle Pits. Aber ja – es macht Spaß, es macht wirklich Spaß. So verwundert es auch nicht, als plötzlich ein Typ durch’s Publikum getragen wird.
Umso schöner, dass die Band in Momenten wie diesen klare Köpfe behält und uns anhand der passenden Fahne und des Songs „Rassist“ zeigt, weswegen wir überhaupt alle hier sind.

Um etwa ein Uhr nachts. Unter den lauten Klängen von Radio Havanna machen sich die müden Securitykräfte auf den Weg nach Hause. Ich gebe mich schließlich auch geschlagen. Nach diesem energiegeladenen Auftritt tanze ich erst einmal nirgendwo mehr hin!

Eine Erkenntnis bleibt nach dem Abend noch. Abseits von Aufbau West mit ihrem Exotengenre zwischen Hip Hop und Indie hat uns der Rest der Bands eine erstaunlich große Bandbreite des Punkrocks dargeboten. Da soll einer nochmal sagen, Punkrock sei langweilig einseitig. Oder Festivals organisiert von Studierenden einer katholischen Hochschule etwa.

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