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[dropcap]W[/dropcap]ie fühlen sich wohl diese krassen Events an, bei denen man von Kopf bis Fuß bedient und umsorgt wird? Tini bekam aus Zufall die Möglichkeit dazu, einen solchen Abend erleben zu können – ein exklusives Konzert von Grimes im Hilton Hotel in Berlin. 

Grimes

Eigentlich möchte ich an diesem Tage nur noch kurz für eine oder zwei Stunden arbeiten, ein wenig shoppen, mich gemütlich fertig machen und abends dann in aller Ruhe zu einem Konzert gehen, um welches ich überhaupt erst meinen ganzen Berlin-Aufenthalt drumherum geplant habe. Doch natürlich kommt es mal wieder anders als gedacht.

Ich rette in Prenzlauer Berg ein komplettes Rezeptbuch vor einer absoluten Layoutkatastrophe und eile in BVG-Blitzgeschwindigkeit zurück zu meiner Unterkunft im östlicheren Teil Berlins. Jetzt aber gemütlich fertig machen und… wie jetzt, in 20 Minuten müssen wir schon los?
Damit fällt das große Beautyprogramm also flach und ich mache nur das Nötigste, ehe mein Bruder und ich schon wieder in die nächste U-Bahn springen. Dabei wollte ich an diesem Abend doch besonders hübsch aussehen, um nicht allzu negativ in einem für mich eher ungewohnten Umfeld aufzufallen.
Denn mein Bruder hatte mich tatsächlich zu einem exklusiven Konzert der kanadischen Sängerin und Musikproduzentin Grimes eingeladen. Nach kurzer Hörprobe hatte ich recht spontan dafür zugesagt. Ich wollte halt schon immer mal wissen, wie sich der Besuch eines solch exklusiven Events so anfühlt.

Und nun stehe ich hier in der Lobby des Hilton Hotels. Eine für meinen Geschmack viel zu übertrieben schick gekleidete Dame sitzt am Flügel und ich habe das Bedürfnis, mich vor Ehrfurcht vor diesem Ort ganz klein machen zu wollen. Was zur Hölle mache ich hier überhaupt? Und ernsthaft? Diese Gepäckwagen aus den Filmen gibt es wirklich?

Ein paar Hinweisbanner und eine bunte Warteschlange voller Menschen holen mich zurück in die Realität und erinnern mich wieder an das Konzert. So stellen wir uns brav an und kommen dem eigentlichen Veranstaltungsort des Abends Minute für Minute näher. Schließlich bekommen wir ein paar schicke Lanyards um unsere Hälse und Bändchen an die Arme, ehe wir uns inmitten einer lauten Party mit irrer Aussicht auf die Gegend rund um den Gendarmenmarkt wiederfinden.

Hier tummelt sich alles – von irre jung bis älter als meine eigenen Eltern, von schick gekleidet bis total ausgeflippt, von zurückhaltend bis total überdreht. Wir genehmigen uns ein paar Getränke an der Bar, schlagen im Minutentakt undefinierbare Snacks aus und stellen uns an die gigantischen Fensterscheiben, um das Menschentreiben außerhalb des Hotels zu beobachten. Ich fühle mich weiterhin etwas fehl am Platz, beginne aber zumindest langsam damit, mich etwas sicherer in dieser Situation zu fühlen. Von Wohlfühlen kann trotzdem eher keine Rede sein.
Drölfzigtausend ausgeschlagene Häppchen, viele Beobachtungen und ein eher gezwungenermaßen entstandenes Bild an der Fotowand später, werden wir endlich in den Konzertsaal gelassen und sichern uns einen Platz in der ersten Reihe. Hier nutzt man natürlich stilecht Absperrbänder, was sich etwas später noch als eher dumme Idee herausstellen soll.
Die fancy Menschen um mich herum stellen ihre Gläser auf dem Boden ab, werden dafür ermahnt. Sie sind laut und fühlen sich wichtig und ich bin leise und fühle mich eher klein und weiterhin nicht sonderlich wohl. Würde es doch nur endlich los gehen…

Irgendwann ist es dann auch endlich so weit. Den Anfang macht Hana Pestle, US-amerikanische Singer-Songwriterin, Produzentin und Tour-Support für Grimes. Und obwohl ich diese Frau gerade erst kennen lerne, ist sie mir mit ihrer sehr synthielastigen atmosphärischen Musik, ihrer fesselnden Schönheit und Performance und ihrer grandiosen Stimme auf Anhieb sympathisch. Ich bewege mich passend zur Musik und träume vor mich hin. Ein Hoch auf mich und meine sehr zielgerichtete Aufmerksamkeit, denn eigentlich würde ich jetzt am liebsten etwas ganz Anderes tun – den Leuten hinter mir gern ihre Fr… pardon, ihre Gesichter für ihr unnötig lautes Gerede einschlagen. Ja, wir sehen alle, dass HANA ziemlich lange Haare hat, wir haben selbst Augen im Kopf und möchten jetzt gern die Musik genießen oder zumindest erleben, wie ihr unhöflichen Deppen an der heftigen Lightshow erblindet.

Irgendwo zwischen Glück und Rage geht HANAs Auftritt schließlich unter allerhand Applaus zu Ende und ich frage mich, wie lange ich das Spektakel noch von vorn aushalten werde. Wenn sich die Leute trotz tötender Blicke nicht bald zusammenreißen, setze ich vermutlich zum Roundhousekick an. Zack, Problem gelöst, Abend aber wahrscheinlich auch vorzeitig beendet.

Eine gefühlt endlose Wartezeit später wird die klassische Hintergrundmusik wieder leiser, das Licht gedimmt und zwei Tänzerinnen mit Sonnenbrillen beanspruchen den Platz auf der eher ungewöhnlicheren Bühne für sich. So viel Körpergefühl hätte ich dann bitte auch gern, sehe ich doch allein auf meinem Foto von vorhin aus wie ein Schluck Wasser in der Kurve. HANA ist als Mitmusikerin wieder von der Partie, was mich nach dem vorigen Auftritt natürlich besonders freut.
Nun betritt auch die kleine aufgedrehte und trotzdem zuckersüße Claire Boucher, besser bekannt unter dem Namen Grimes, die Bühne und dreht so richtig ab. Ich bin fasziniert und verstört zugleich. So viel Power hätte ich beim besten Willen nicht erwartet. Von der ersten Sekunde an an legt sie sich ins Zeug. Sie ist fester Teil der Tanzchoreos, geht ein wenig auf Tuchfühlung mit ihren laut mitsingenden und kreischenden Fans.

Grimes kann es kaum glauben, wie sehr man sie in Deutschland feiert. Und ich auch nicht. Denn zwischen all dem Tanzfieber, meinem breiten Grinsen und absolutem Glücksgefühl reiben sich die bereits erwähnten schrecklichen Menschen tatsächlich an mir, um ihren Star nur einmal anfassen zu können. Sie brüllen dämliche Dinge, erhoffen sich so Aufmerksamkeit von Grimes. Zu viel zu fester Körperkontakt. Mir wird wirklich schlecht und nachdem es keineswegs ausreicht, diesen Menschen mal gehörig den Ellbogen in die Magengrube zu rammen und böse zu gucken, kapituliere ich und verziehe mich resigniert aus dem Gefahrengebiet.
Weiter hinten erhasche ich zwar ohne lebensmüde Kletterpartie auf einen der Barhocker nicht mehr wirklich viel vom Geschehen, kann aber immerhin gefahrlos tanzen und den Rest des Konzerts noch ein wenig genießen.

Nach dem Gig begeben wir uns wieder zur Bar, probieren das so oft abgelehnte Fingerfood aus und beobachten die stressigen Menschen bei der weiteren Vertiefung ihrer Paarungstänze. Wir schütteln die Köpfe, bekommen noch ein paar Plakate geschenkt und machen uns erschöpft auf den Heimweg.

Als Fazit bleibt zu sagen, dass mir der Abend in Sachen Musik und Bemühungen der Veranstalter eigentlich ganz gut gefallen hat – einziger und größter störender Faktor: die unverschämten Fans, denen für ihre Selbstinszenierung einfach nichts zu blöd ist.

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