Erst kürzlich erschienen mit Bleistift und Betriebsausflug gleich zwei neue Singles aus dem Hause Schlaraffenlandung (jetzt: PEREZ). Ich habe die Gunst der Stunde genutzt und mich mit Frontmann Jannik Perse über die aktuellen Entwicklungen der Band, die Hintergründe ihrer Musik und das Musikbusiness im Allgemeinen unterhalten.
Donnerstag, der 26. Juli 2018. Drei Menschen Mittezwanzig kämpfen mit den Tücken der Telekommunikation. Mit nur leichter Verzögerung starte ich dann endlich in das allererste Telefoninterview in der Geschichte des Blogs. Hoffentlich ist Jannik, der Frontmann von Schlaraffenlandung (jetzt: PEREZ), nett zu mir.
Hey Jannik, wie steht’s um dein Flaschenpfand? Hast du überhaupt Bock auf ein Schloss?
(lacht in sich hinein) Äh nee, Schloss ist glaub ich so gar nicht mein Ding, da hätt‘ ich glaub ich keinen Bock drauf. Wäre mir zu groß und zu viele Zimmer. Da verirrt man sich schnell. Ich mag’s sehr klein und beschaulich und wenig zu putzen. Dementsprechend muss ich gar nicht so viel Flaschenpfand sammeln.
Und so viel Besitz will man auch gar nicht haben, oder?
Nee, mit viel Besitz kommt sehr viel Verantwortung und mit sehr viel Verantwortung… Die Leute, die die dicken Karren fahren, da tut jeder Steinschlag weh. Dann fahr‘ ich lieber mit ’nem Schrotthaufen, der mich von A nach B bringt und den man auch mal gegen die Wand setzen kann und dann nicht nicht gleich anfängt zu heulen und Monatsgehälter zählt, die man braucht, um das Ding wieder hinzurichten. Nee! (lacht) Dann lieber klein und bescheiden so und zufrieden sein mit dem, was man hat.
Woher kommt jetzt der ganze neue Output? Es passiert ja jetzt in kürzester Zeit relativ viel bei Schlaraffenlandung.
Wir haben etwa Anfang diesen Jahres angefangen, sehr sehr viel Musik zu schreiben und haben einfach sehr viele Songs, die aktuell noch rumliegen und wo wir nicht so richtig wissen, was wir damit machen. Du hast ja früher immer gesagt, du schreibst jetzt 20 Songs und dann suchst du dir 12 aus und machst ’n Album. Und dann fällt dir auf: Hoppla, wir sind in 2018 und du musst ja gar nicht mehr auf ein Album warten! Du kannst ja einfach Musik raus bringen und sagen, hier ist was Neues und hier entwickelt sich’s gerade hin. Und das machen wir gerade: Wir schreiben Songs und wenn wir einen besonders cool finden, dann nehmen wir ihn auf und hauen ihn raus. Und dann mal schauen, was die Leute sagen, wie sie ihn finden. Da haben wir einfach Lust drauf.
Was würdest du sagen: Wie viele bleiben in der Schublade, weil sie euch doch nicht genügen?
Das ist so guter 50/50-Schnitt. Fünfzig Prozent hast’e geschrieben, war cool und weg damit und bei den anderen fünfzig Prozent sagst du, das ist geil und da müssen wir was mit machen.
Mir gefällt das echt gut, wenn bei manchen Künstlern einfach stetiger Output kommt und man nicht ewig warten muss…
Ich find das auch super schön! Da gibt’s ja gerade auch voll viele Künstler wie ’nen Ahzumjot, der sein Album Single für Single raus bringt. Da kommt immer wieder neue Musik und das finde ich spannender und schöner als irgendwie eineinhalb Jahre auf’s Album zu warten und dann knallt’s irgendwie doch nicht so rein wie du’s dir vorgestellt hast. Dann kriegst du lieber so portionsweise ’n paar coole Songs, kannst ständig was Neues hören und bleibst am Ball. Das mag ich auch als Musikhörer einfach.
Aber stimmt echt! Wenn so’n Album kommt, ist das ein geballtes Ding. Dann ist es von einem auf den anderen Tag in seiner Gesamtheit da.
Du kannst dich halt auch ganz anders auf die Mucke konzentrieren. Wenn du 12 Songs auf einmal bekommst, dann hörst du das Album auf einmal. Du hörst kurz rein, ziehst jeden Song einmal kurz durch. Dann hast du irgendwie zwei bis drei, die du ganz cool fandest und wo dir was hängen geblieben ist. Die hörst du dann auf Dauerschleife und die anderen fallen dann irgendwie so’n bisschen nebendran weg. Wenn du dagegen einen Song hast, auf den du dich ’nen Monat lang konzentrieren kannst und sagen kannst: Ok, ich hab hier jetzt einen Schlaraffenlandung Song bekommen und den find ich cool, dann hörst du den ’nen Monat lang. Und dann kommt ’n nächster und dann hörst du den wiederum ’nen Monat lang. Also zumindest könntest du das, wenn du ihn gut findest. Und wenn nicht, dann hast du ja immer noch den anderen Track.
Ihr habt ja jetzt nicht nur geschrieben, sondern ihr wart auch gleich viermal auf dem Southside. Was war DAS denn für eine verrückte Aktion und wie lief’s?
Oah, das war anstrengend! Wir haben ja dieses Jahr auf dem Southside debütiert, so das erste Mal richtig großes Festival mit großer Infrastruktur und großen Bühnen. Dann haben wir uns irgendwie gedacht: Einmal spielen ist langweilig, dann machen wir viermal draus. Und dann haben wir echt viermal gespielt. (lacht)
Am Southside Freitag haben wir die Blue Stage eröffnet, das ist so eine der beiden Open Air Bühnen. Danach dann direkt das Kontrastprogramm im Platzhirsch mit irgendwie 40-50 Leuten, die da rein passen. Und dann haben wir noch so zwei Guerilla-Actions gezockt, einmal bei Becks Camp FM und einmal bei Wulle. Da haben wir noch so’n bisschen auf dem Platz ohne Mikrofon Throwback zurück in die Anfänge vom Hip Hop gemacht, also bisschen Boombox hinten drin und einfach drüber rappen.
Gab’s dann auch Fans, die sich alle vier Auftritte angesehen haben?
Wir hatten tatsächlich ’n paar, die sind dann so’n bisschen „mitgereist“. Die haben sich dann erst die Blue Stage gegeben und waren dann bei allen Auftritten am Start, das war schon lustig. Das fühlte sich so’n bisschen wie ’ne kleine Tour an.
Ich geb’s zu: Ohne Pressetext hatte ich zunächst Probleme, den Song Betriebsausflug thematisch erfassen zu können. Was kannst du mir über den Track und seine Bedeutung erzählen?
Unter’m Strich ist das Thema von Betriebsausflug ja Sextourismus. Auf einer Art parodiert der Song das Thema und hängt es aber eher in die Perspektive eines neutralen Beobachters.
Wir haben derzeit so viele Themen, die auf den Plan kommen. Wir haben die #metoo-Kampagne; wir haben Leute, die sich für Emanzipation einsetzen; wir haben Leute, die sich gegen Sexismus einsetzen; wir haben aufgrund eines sehr großen Rechtsrucks in Deutschland sehr viele Leute, die sich für Links einsetzen. Es gibt so viele Themen gerade, die einfach scheiße laufen und wo sich Leute berechtigterweise sehr gut dafür beziehungsweise eher dagegen einsetzen. Und dann gibt es da dieses Thema „Sextourismus“ und alles, was da dran hängt, seien es Zwangsprostitution, Menschenhandel, Misshandlung von Minderjährigen, Kinder ohne Vater… das hat ’nen riesengroßen Rattenschwanz, in dem extrem viel Scheiße passiert. Dennoch ist es aber halt ein Thema, das super leise geworden ist. Es gab vor Jahren diesen Ergo Direkt-Skandal, an dem auch der Song so’n bisschen dran aufgehängt ist. Da ging mal kurz so’n Raunen durch die Menge, wo dann alle gesagt haben: Oh Gott, wie können die nur? Dann gab’s ’nen Prozess für den „lieben“ Herrn Kaiser und dann war das Thema aber auch wieder durch. Und dann gehst du aber ’n bisschen ins Internet, guckst mal ’n bisschen nach Artikeln und siehst halt, es kommt irgendwie alle 2 Tage ’n neuer Bericht von ’ner Menschenrechtsorganisation raus, in dem drin steht, dass wieder zwei Milliarden Euro in Spanien mit Zwangsprostitution erwirtschaftet wurden und dass wieder Boote voll mit Frauen und Kindern irgendwo hin geschifft und an Freier verkauft werden. Da läuft’s dir einfach kalt den Rücken runter. Uns ist es da einfach ein Anliegen, so’n Thema doch nochmal ein bisschen lauter zu machen als es gerade ist.
Krass, da steckt ja echt mehr dahinter als man zunächst raushören mag… Das klingt ja jetzt alles so, als wärt ihr auf jeden Fall engagiert und dass ihr euch durchaus für aktuelle und auch nicht so aktuelle Probleme interessiert und dem ’ne Stimme geben wollt…
Willkommen im Hip Hop! Die letzte EP ist ja Mittezwanzig und das hat auch seinen Grund. Unsere Generation Mitte Zwanzig ist die Zukunft. Wir sind die neuen Geschäftsführer, die neuen Ingenieure, Architekten und Ärzte. Unsere Generation, die sich gerade in Ausbildung und Studium befindet oder gerade so durch ist und ihre erste Berufserfahrung sammelt, ist die, die unterm Strich alles in der Hand hat und später eventuell das Ruder rumreißen muss. Und ich versteh nicht, wieso es sich unsere Generation so’n bisschen gemütlich gemacht hat und aufgehört hat, zu rebellieren und Themen anzusprechen, die auch mal unangenehm sind und weh tun.
Wenn du ’ne Band bist, egal welcher Größe, dann hast du ’ne Bühne und irgendwo ’ne Stimme. Die wollen wir halt vor allem nutzen, ohne auf Weltverbesserer machen zu wollen, um hier und da mal bisschen lauter zu werden. Um vielleicht doch mal in ’nen Raum rein brüllen zu können, dass die AfD scheiße ist, dass der Rechtsruck scheiße ist und dass Menschenhandel scheiße ist. Das ist vor allem in 2018 glaub ich echt wichtig.
Ich mag das echt, wenn Leute Haltung beweisen. Ein anderes Beispiel aus der deutschen Musikwelt wären da ja KAFVKA…
Voll! Wichtige Band! Wir sind da halt so’n bisschen subtiler, was das alles angeht. Gerade Bands wie KAFVKA, Feine Sahne Fischfilet oder Swiss und die Andern sind da deutlich direkter und lauter. Letztens kam einer auf ’nem Festival zu uns und meinte, was so angenehm an unseren Texten und an unserer Musik ist, ist dass wir Stellung beziehen, aber dabei sehr friedfertig bleiben. Und ich glaube, das ist es unter’m Strich: So’n friedfertiges, so’n liebevolles auf die Hände klopfen und sagen: Pass mal auf!
Man braucht ja auch denk ich mal so die Vielfalt. Die Einen hauen halt voll in die Fresse rein, die Anderen machen es subtiler. Dann kann sich so jeder seine Nische aussuchen.
Zurück zur neuen Single und damit verbunden vor allem zum Musikvideo zu Betriebsausflug. Was hat es damit konkret auf sich?
Ich war in der Wilhelma, das ist der Zoo hier in Stuttgart, und hab ein paar Tiere gefilmt. Ich fand es irgendwie interessant, dass die Dinge, die passieren so der pure Urtrieb sind. Den Leuten geht es ja um nichts als Macht und Sex, dieses „fressen und gefressen werden“-Ding. Und das machen die Tiere ja instinktiv in Perfektion. Aus diesem Grund fand ich es irgendwie interessant, das dann auch genau so zu bebildern und die Symbolik spielen zu lassen. Ich glaube, das Musikvideo muss man sich fünf-sechsmal angucken, um zu checken, was da alles drin steckt. Witzigerweise hat unser Schlagzeuger und Beatproduzent Moritz das Video neulich zum vierten oder fünften Mal angeschaut und gesagt: Ach krass, jetzt check ich’s! (lacht) Es ist auf jeden Fall ein tiefschichtigeres Video als es auf den ersten Blick so scheint.
Und zwischendrin dann ganz subtil noch dieser Mund.
Genau. Das ist dann die menschliche Seite.
Die letzten zwei Musikvideos zu Bleistift und Betriebsausflug waren ja doch deutlich schlichter inszeniert. Welche Bedeutung misst du Musikvideos in der heutigen Zeit eigentlich zu, gerade vielleicht auch in Hinblick auf die nicht ganz so großen Künstler*innen da draußen, die nicht mal eben mit aller Leichtigkeit mehrere Millionen Views scheffeln?
Unser Musikvideo Erde aus war ja wirklich ’ne große Produktion. Die zwei aktuellen Videos sind nun bewusst minimalistisch und eben nicht überproduziert gehalten. Ich kenn‘ das noch aus meiner Jugend: Es gab mal so ’ne Zeit – meine absolute Lieblingsband war damals Linkin Park und ich habe ausschließlich ihre Musik gehört – da haben irgendwelche Leute Linkin Park Lieder unter Footage aus Videospielen gelegt. Irgendwann konnte ich die Musik nicht mehr hören, ohne das Video dazu zu sehen. Ich hab dann gemerkt, dass du dich gar nicht mehr auf die Musik konzentrierst, sondern viel mehr auf die Bilder, die du siehst.
Und ich find‘ das eigentlich schade, dass du so bildgewaltige Videos hast und dann die Musik aber irgendwo nicht mehr Musik ist, sondern Soundtrack. Ich finde irgendwie, dass man heutzutage wieder anfangen sollte, sich eher auf Musik und Texte zu konzentrieren. Was hat mir der Typ denn da zu sagen oder die Frau, die da gerade singt? Treibt mich auch die Musik in eine Bildwelt rein? Wenn du dann so ein minimalistisches Musikvideo hast, das dir vielleicht auch noch ein bisschen Denkanstoß gibt, dann glaube ich, kannst du dich noch besser drauf konzentrieren. Aber unterm Strich kann das jeder machen, wie er will. Ich denke, Musikvideos sind nach wie vor schon wichtig…
Ich habe letztens beispielsweise zur Musikerin LEA recherchiert und bemerkt, dass ihre Videos von vor wer weiß wie vielen Jahren mit einfach ihr und ihrer Stimme am Keyboard zum Teil über ’ne Million Views haben. Super viele Leute in den Kommentaren können sich auch noch genau an diese Zeiten erinnern. Gleichzeitig habe ich in meinem Bekanntenkreis auch erlebt, dass sich Bands zum Teil richtig krass in ihre Musik und vor allem auch die Musikvideos reingehängt hatten und dann wurde das alles kaum bemerkt oder geklickt. Daran hab ich zum Teil schon Bands zerbrechen sehen.
Voll schade. Aber ich mein, so darfst du Musik nicht angehen, dass du sagst, ich investiere nur, wenn ich safe Rendite und Credits bekomm. Wenn du so Musik machst, wirst du schnell zerbrechen. Ich glaube, Musik ist so eine der Geschäftsbereiche, wenn man das so nennen will, wo du einfach investieren musst. Ob das Geld ist oder Zeit oder Blut – du musst gucken, was bei rauskommt und darfst nicht enttäuscht sein, wenn’s nicht so rauskommt, wie du es dir vorstellst. Im Bestfall stellst du dir einfach gar nichts vor, sondern lässt es einfach passieren.
Ja schon, aber ich kenne das selbst aus meiner Perspektive in Sachen Blog und Konzertfotografie… Manchmal steckt man einfach so viel rein und dann gibt’s so wenig zurück, dass man sich fragt: Wofür mach ich das eigentlich? Und dann braucht man erstmal einen Moment, besinnt sich zurück und denkt: Weil ich Bock drauf hab, weil es mich erfüllt. Weil ich Leute unterstützen will. Und trotzdem kann es echt richtig hart sein.
Es sollte sich halt schon irgendwie die Waage halten. Es darf nicht alles nur scheiße sein. Wenn du nur Scheiße frisst, dann ist irgendwo der Punkt, wo der Atem weg ist.
Was ich schon immer mal ’nen Musiker fragen wollte… Ihr habt jetzt allein auf die Akustik-Version eures Songs „Heute“ 1,2 Millionen Plays auf Spotify. Ist die Plattform für dich eher Fluch oder Segen?
Ich hab da ein sehr ambivalentes Verhältnis. Ich find‘ Spotify so wie sehr viele Andere auch auf der einen Hand gar nicht cool, weil es natürlich ’ne Plattform ist, die Leuten ermöglicht, Musik für fast kein Geld zu hören. Ich habe früher bestimmt 150 oder 200 Euro im Monat für Platten ausgegeben und bekomm‘ jetzt für zehn Euro die Welt. Das ist einfach kein Verhältnis. Das ist natürlich das Eine, was auch zur Folge hat, dass Musiker nicht ordentlich dafür bezahlt werden und auch viel Musik, die rausgebracht wird, untergeht.
Was ich aber an Spotify geil finde: Es hat halt unglaublich viel Potential und unglaublich viele Perspektiven, gerade für kleine Musiker. Wenn du überlegst, du warst vielleicht vor 15 Jahren ’ne Band und hast gesagt, ich möchte Musik rausbringen, dann musstest du ’ne Platte aufnehmen, sie irgendwo pressen lassen, ’n Artwork machen. Dann musstest du die Verpackung machen, das alles irgendwo eintüten lassen und dann irgendwie gucken, wo verkaufe ich den Scheiß jetzt? Und heutzutage kannst du einfach sagen: Okay gut, ich geh zu Spinnup, iMusician Digital oder wie sie nicht alle heißen und lad‘ das Ding einfach hoch. Und du hast in dem Moment die Möglichkeit, sehr einfach mit sehr wenigen Mitteln Musik rauszubringen, die dir irgendwo dann vielleicht doch nochmal Geld reinspielt. Du bekommst ja schon Geld für die Klicks. Egal, ob es jetzt 50 sind oder 50.000 – du bekommst Geld. Und so kommt ein bisschen was zurück. Wenn so ’ne Plattform wie Spotify vielleicht mitzieht und sagt, wir bieten das vielleicht nicht mehr für 10, sondern für 30 Euro an… Wenn jetzt aus – ich weiß nicht, was die für ’nen Umsatz machen – wenn jetzt aus zwei Milliarden Euro Umsatz im Jahr plötzlich 20 Milliarden Euro werden, weil es einfach teurer geworden ist, dann kannst du dementsprechend auch die Künstler besser bezahlen. Und dann hast du irgendwie ganz viele Probleme auf der Negativ-Hand ausradiert. Und dementsprechend finde ich, dass Spotify ’ne Plattform ist, die unglaublich viele Perspektiven und Möglichkeiten für die Zukunft bietet. Dementsprechend: Ich sehe Spotify wahrscheinlich von der guten Seite! (lacht)
Was ich jetzt auch aus der Konsument*innensicht gut finde: Ich lerne sehr sehr viele Musiker*innen ganz zufällig darüber kennen, da ich sehr viele Playlists höre. Ich hab sonst immer nur bestimmte Alben gepumpt, mich immer nur im Horizont dieser bewegt und habe gar nicht so über den Tellerrand hinausgeblickt. Vor nicht allzu langer Zeit hab ich dann aber sogar durch Zufall einen wunderschönen Song einer Band für mich entdeckt, wo ich rein vom Hören her dachte, die wären super international und unerreichbar. Und plötzlich gingen die mit ’ner befreundeten Band auf Tour und ich dachte: Alter, das sind ja Deutsche und ich kann sie live sehen?!
(Lachen auf beiden Seiten)
Geil! Weißt du, wer das war?
Into The Fray.
Ah, fett, coole Band!
Ich liebe diese Band, hab sie daraufhin auch beim Crowdfunding unterstützt und alles… und das dann letztlich durch Spotify.
Wahrscheinlich war das durch die Single Passengers. Das ist auch einfach eine brutal gute Nummer.
Wie viel persönlicher Musikgeschmack steckt eigentlich bei euch in eurer Discographie mit drin?
Ich glaube, du kommst als Musiker nicht drumherum, dich irgendwo von der Mucke inspirieren zu lassen, die du hörst. Wenn du den ganzen Tag Metalcore hörst und Gitarrist bist, dann schreibst du zwangsläufig Riffs, die irgendwo in die Richtung Metalcore gehen. Du kannst dich nicht dagegen wehren, das ist super unterbewusst. Aber tatsächlich ist es jetzt bei uns – ohne großen Krampf – eher bewusst weg von der Musik, die wir auch hören. Es gibt Phasen, wo ich jetzt sage, ich setz mich jetzt hin und schreib Songs. In denen höre ich mit Absicht keine Musik, die in die Richtung geht, weil ich weiß, es beeinflusst mich irgendwo.
Manche hören in dieser Zeit auch gar keine Musik, weil sie komplett frei sein wollen.
Wenn ich wirklich sag, ich möchte in einer Woche fünf Songs schreiben, dann höre ich Hardcore. Dann höre ich den ganzen Tag nur noch Lionheart, The Amity Affliction und so (lacht). Mein Musikgeschmack ist super breit: Von Lionheart und Comeback Kid bis hin zu Yung Hurn hör ich eigentlich fast alles.
Den Prozess hab ich jetzt aber auch erst durchgemacht. Erst war ich so in einer musikalischen Ecke und mittlerweile pick ich mir überall was raus, was ich geil finde.
Ich glaub auch, wenn ich irgendwann mal ’ne Initiative gründe, dann eine für die Abschaffung von Genres. Dass man einfach nur noch sagt: Was hörst du? Ich höre Musik, fertig!
Wenn ich viele Leute nach ihrem Musikgeschmack frage, heißt es meist aber auch schon: Querbeet. Also es ist irgendwo schon die Standardantwort geworden…
Ja, wir sind auf ’nem guten Weg.
Ich find’s jetzt auch nicht so verkehrt, wenn man zumindest grob in ein Genre einordnen kann. Ich kann jetzt nicht unbedingt den krassesten Metalcore hören, wenn ich mich auf irgend’ne Hausarbeit konzentrieren muss oder sowas. Da ist es schon gut, sagen zu können, ich höre da lieber Postrock oder so. Also manchmal sind Genres doch nicht so verkehrt.
(beide lachen in sich hinein)
Man weiß dann halt, worauf man sich einlässt.
Ist aber dennoch prinzipiell ein guter Punkt von dir.
So, wir entfernen uns langsam vom Inhaltlichen. Mir ist im Vorfeld des Interviews aufgefallen, dass Jo Halbig eure Pressearbeit macht und Mäx Schlichter auch musikalisch mit euch zusammenarbeitet. Wie ist das denn zustande gekommen?
(lacht in sich hinein) Wie das immer so läuft. Man trifft sich halt doch mal aus Versehen auf ein Bier, weil Freunde Freunde kennen. Wir saßen irgendwie in Berlin mit Mäx Schlichter am Tisch, haben ein Bierchen getrunken und hatten einen netten Abend. Daraufhin haben wir uns spontan zum Songwriting verabredet und haben ’ne coole Nummer zusammen geschrieben. Und warum dann nicht zusammen auch weiterhin produzieren? So war Mäx dann mit im Boot. Mittlerweile ist er auch ein sehr guter Freund von uns geworden. Und den Jo haben wir dann eben über den Mäx kennengelernt und dann kam so eins zum Andern (grinst).
Ich fand das eh schon spannend. Erst hab ich über euer Feature mit Mario und das Munich Warehouse gemerkt, dass ihr mit den Blackout Problems zu tun habt. Und da ich zu früheren Zeiten die Killerpilze gehört habe, war mir Jo als euer Pressekontakt auch kein Unbekannter.
Musik ist ’n super Kaff! Da kennt jeder jeden und du stolperst auch immer über dieselben Namen. Als Musiker lernst du ja zwangsläufig andere Musiker kennen, weil du live spielst und in den richtigen Ecken dafür bist. Und dann entwickeln sich über Jahre hinweg Freundschaften bis hin zu Familien.
Bestenfalls schon. Man kann sich natürlich auch doof anstellen und sagen: Ihr seid alle blöd.
Das ist halt die Frage, wie du Musik angehst. Ich glaube, es gibt im Wesentlichen zwei Arten: Siehst du andere Bands und Musiker als Kollegen oder als Konkurrenz? Und wenn du anfängst zu sagen, das sind alles Kollegen und ich will hier niemandem das Wasser abgraben und das wollen die auch nicht, dann fängst du an, Freundschaften zu knüpfen. Wenn du aber sagst, wieso sind die jetzt in der JUICE und ich nicht, dann entsteht sowas nicht und das find‘ ich eigentlich schade. Deshalb bin ich eher der Typ, der sagt, das sind alles Kollegen.
Ja, das ist mir besonders im Musikblog/Konzertfotografie-Kontext aufgefallen…
Da ist es noch viel schlimmer! (lacht) Gerade Konzertfotografie ist da ja so das asozialste Business.
Miteinander, Gegeneinander, Krieg oder nicht… es ist echt krass. Mittleweile connecte ich zwar viel, aber es wollen auch nicht alle und dann ist das auch okay so. Ich bin trotzdem noch mit vollem Herzblut dabei. Die Richtigen werden’s schon raffen und unterstützen einen dann auch. Prinzipiell kann man ja aber eh nicht von jedem gemocht werden und das ist schon okay so…
Ich hab dann auch nur noch eine abschließende Frage: Was würdest du der Welt da draußen gern mit auf den Weg geben?
Wenn ich einmal mit einer Aussage jeden auf dieser Welt erreichen könnte, dann würde ich einfach nur sagen: Passt aufeinander auf. Um mehr geht’s gerade glaub ich nicht.
Informationen zum Interview
Das Telefoninterview mit Jannik (Schlaraffenlandung) fand am 26. Juli 2018 statt.
Interview/Transkription/Reinschrift: Tini
Dankeschöns
Ein großer Dank geht raus an Jo Halbig, Katy Kornherr und natürlich auch Jannik Perse für das Ermöglichen dieses schönen Gesprächs.