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[dropcap]E[/dropcap]in Freitagabend im Februar. Vor der Turbinenhalle in Oberhausen. Es ist etwa 19 Uhr. Durchnässte zitternde Menschen warten auf einer Treppe auf Einlass. Manche trinken sich noch ein wenig warm, andere haben Rettungsdecken ausgebreitet. Es ist kaum zu glauben, aber manche davon warten bereits seit acht Uhr morgens darauf, haben Sturm und Regen getrotzt, sich sogar Essen zur Location bestellt.

Das nennt man dann wohl wahre Fans. Nicht, dass Fans, die später eintrafen, schlechte oder falsche wären, aber wenn die Fanliebe und die Hoffnung auf die erste Reihe so groß sind, dass man dafür seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ist das schon irgendwie der helle Wahnsinn. Doch wieso tut man sich so etwas an? Es ist so ein bunter Haufen. Helle Haare, dunkle Haare, grüne Haare, pinke Haare, Hetero-, Homo-, Trans- und Bisexuelle. Von gerade einmal sechzehn bis weit über die Jugend hinaus. Oder kurz: Einfach Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Menschen wie Du und ich. Und sie alle verbindet eins: Sie warten auf Einlass zum Konzert der deutschen Rockband Jennifer Rostock.

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Als ein Mitarbeiter der Security endlich verkündet, man dürfe jetzt zum Einlass gehen und solle dabei langsam hingehen, fängt der Sturm an. Alle rasen los, wollen sich zuerst durch den engen Eingang quetschen. Danach verteilen sie sich auf mehrere Schleusen, zeigen ihre Tickets vor, werden nach verbotenen Gegenständen abgetastet, sprinten in Richtung Bühne, zur Toilette oder zu den Schließfächern. Jeder, wie er es für richtig hält. Schnell füllt sich der Platz vor der Bühne und wieder beginnt eine Wartezeit. Doch so im Warmen und Trockenen ist es für den Großteil der Anwesenden jetzt das geringste Übel. Schließlich ist es keine Stunde mehr hin bis die Vorband den Konzertabend einläutet.

Und die Zeit vergeht. Für gute fünfunddreißig Minuten erobern die vier Münchener von Marathonmann die Bühne und zeigen, was sie so können. Dabei bieten sie vom Albumtitelsong bis zum aktuellsten Lied eine breite Palette dar, begrüßen Baku und Christoph von Jennifer Rostock als Gastmusiker, lassen ihren Drummer Marcel crowdsurfen. Sie nutzen ihre Spielzeit einfach optimal aus und haben während ihres energiegeladenen Auftritts sicherlich einige Fans von Jennifer Rostock auch für sich begeistern können.

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Der Auftritt der Hauptband rückt näher. Es wird eindeutig enger in den vorderen Reihen. Für Menschen mit Platzangst mit Sicherheit nicht die günstigste Situation.
Und dann ist es soweit, nach und nach betritt die Band zu einem epischen Intro die Bühne. Der Startsong heißt „Phantombild“ und das gesamte Publikum befindet sich augenblicklich im Bann der fünf Wahlberliner. Knapp über zwanzig Songs gibt es an diesem Abend zu hören. Ein gelungener Mix aus dem neuen Album, aber auch vielen älteren Songs. Eine gigantische Lichtshow, unglaublich viel Konfetti und massig Gelegenheiten zum Tanzen, Springen, Abfeiern.

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Ein kleines Highlight: der Heiratseintrag eines jungen Mannes, welcher so lange auf diesen Tag hin gefiebert hat und buchstäblich schlaflos war. Seine Freundin Nicole ist völlig überwältigt. Jennifers erste Reaktion auf das „Ja“ der Glücklichen: „GEIIIIL!“ – mit Hochprozentigem und dem wohl einzigen Liebeslied der Band besiegelt.
Doch auch Jennifer Rostock haben an diesem Abend so Einiges zu bieten. So schmettert Jennifer Wrecking Ball von Miley Cyrus, schmeißt sich in alter Crowdsurfing-Manier zu „Ein Schmerz und eine Kehle“ ins Publikum und bekommt ihre Haare dabei durchgewuschelt, ehe sie als Zeichen gegen Homophobie und Unterdrückung und für Toleranz eines Jeden die Regenbohnenfahne schwenkt.

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Zwei Fans, die unterschiedlicher nicht sein können, treten im  traditionellen „Feuer“-Battle gegeneinander an und es gewinnt der mit den deutlich schlechteren Textkenntnissen. Sein Preis: Ein Merchgutschein von Jennifer Rostock und ein signierter Drumstick. Man munkelt, bei diesem Wettkampf hat die Optik eine größere Rolle als das Können gespielt. Schade, aber naja, es sei ihm trotzdem gegönnt.

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Wie immer wird auch die Vorband auch wieder gut in die Show eingebunden. So kommt Michi von Marathonmann auf die Bühne und beweist, dass auch in ihm ein Kapitän steckt. Marcel wiederum wird später erneut dem hungrigen Publikum zum (Crowdsurfing-)Fraß vorgeworfen.

Nico von AmokKoma/War From A Harlots Mouth treibt „Es war nicht alles schlecht“ durch seinen Gastauftritt zur Perfektion und der oberkörperfreie Männermoshpit feiert und verschlingt dabei sogar die ein oder andere angezogene Frau.
Der Abschluss gestaltet sich für Jennifer Rostock – Verhältnisse etwas still. „Schlaflos“ heißt der letzte Titel, bei welchem Frau Weist ihre letzte geballte Energie herausschmettert. Ein letzter Konfettiregen, ehe die Fans aufgewühlt, verschwitzt und mit reichlich Gänsehaut in die Nacht entlassen werden.

Die aufmerksame Spezies entdeckt spätestens jetzt sogar Flo und Sebastian von Aufbau West und Christina von Fuchsteufelswild im Publikum. Dem Rest ist das einfach nur egal. Der wartet entweder am Getränkestand auf die Rettung seiner Kehle, stockt seinen Kleiderschrank durch Merchandisingprodukte auf, quatscht mit Nico und Marathonmann oder hofft sogar darauf, Jennifer und ihre Jungs noch einmal am Tourbus zu erwischen. Das ist er. Der ganz normale Wahnsinn eines Jennifer Rostock Konzerts.

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