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[dropcap]S[/dropcap]onntagnachmittag. Eigentlich perfekt, um sich in seine Decke einzumümmeln, den Pizzaboten nach Hause einzuladen und sich gemütlich einen Film anzusehen. Nicht so bei mir – ich finde mich in einem Linienbus voller Omas und Opas wieder. Wollen die etwa auch alle zu „Kuchen und…“ mit anorak. und kála in den Vortex Surfer Musikclub Siegen?

Ankunft gegen 17.25 Uhr. Viele hübsche Männer am Club. Nichts wie rein da und die Frauenquote heben! Typische Diskussionen darüber, welcher Merch zu Hause am besten einziehen sollte. Uneinigkeit. Ja dann kauf halt einfach alles?!

Der Vortex Surfer Musikclub ist einer dieser Clubs, die mein Konzertherz höher schlagen lassen. Irgendwie mag ich ihn. Ich mag seine kompakte Art. Ich mag, dass ihn viele Schickimickidiscogänger zu „ranzig“ finden. Er hat meiner Meinung nach einfach Stil. Für meinen Geschmack hat er aber manchmal ein zu kaltes Herz. Habe aber gehört, Warmtanzen soll helfen.

Eigentlich soll die erste Band schon zu spielen begonnen haben. Wir sehen uns um. Sind die denn echt alle faul auf der Couch liegen geblieben? Schämen die sich denn nicht? Es gibt Muffins und richtig fette Musik! Wie kann man das denn um Himmels Willen verschmähen?
Die Muffins sind übrigens – so wie der ganze Club – vegan und verdammt gut. Dieser Abend könnte also mein persönlicher Himmel auf Erden werden.

Gewusel im Konzertraum. Es wird laut. Es geht wohl los. Nummerfünf! ist so eine Band, die gehört wie Kompass quasi zum Inventar dieses Clubs. Solider deutschsprachiger Punkrock, laut und mitten in die Fresse, kein Drumherumgerede. Ich erwische mich dabei, einige Songs aus meiner damaligen Rezension wieder zu erkennen und zumindest gedanklich phrasenweise mitzusingen. Währenddessen schweift mein Blick durch den Club. ‚Wie viele der hier Anwesenden gehören jetzt eigentlich zu den Bands dazu?‘, frage ich mich und schicke dem Bassisten im Auslandssemester ein Erinnerungsfoto. Ich hebe mir meine Energie aber lieber für die anderen Bands auf.
Eines stelle ich aber auf jeden Fall fest: Auch wenn die Musik diesen Vergleich an sich nicht hergibt, so lässt sich bei Nummerfünf! auf jeden Fall eine Steigerung in Sachen Livetauglichkeit feststellen, auf welche man bei Kompass seit Jahren vergeblich wartet.

Nach diesem kleinen Warm-Up werde ich ein wenig nervös. Ich beobachte die Jungs von anorak. beim Aufbau und versuche, die Gesichter der Bandmitglieder zu studieren. ‚Wie jetzt, 3Plusss 2.0 spielt auch in der Band?‘
Es geht los. Ein angenehmes Gefühl macht sich während des ersten Instrumentals in meinem Körper breit und ich kann nichts dagegen tun.
Die Band anorak. sieht verdammt unschuldig aus, doch der Schein trügt. Das, was da auf der Bühne passiert, geht durch Mark und Bein. Da steckt jemand in jenen Minuten des Auftritts einfach alles in die Musik. Lebt sie. Laut, leise, energisch, verzweifelt, emotional. Und selbst ohne Musik scheint alles greifbar, so gefühlvoll unterstreicht Frontmann Philipp die Aussagen einzelner Songs mithilfe einer ausgeprägten Mimik und Gestik. Eine gelungene Mischung irgendwo in den Weiten zwischen Screamo, Post-Hardcore und irgendwie auch Indie, die das Musikherz höher schlagen lässt. Mann mag es nicht auf Anhieb komplett heraushören, doch auch vor politischen Statements schreckt die Combo nicht zurück. „If we could create respect / Or just be open-minded / We could all live in a warm peace by and by.“, tönt es etwa in „Cold Winter“. Besser könnte man es kaum ausdrücken. Vielleicht bräuchten wir einfach mehr Menschen wie die von anorak. auf der Welt.
Bereits inmitten des Auftritts bin ich mir darüber im Klaren, dass es keine andere Konsequenz geben kann, als diese Band auf dieser Tour noch einmal sehen zu müssen. Ich verstehe es einfach nicht – wieso platzt der Vortex Surfer Musikclub gerade nicht aus allen Nähten? Siegen ist doch voller Banausen.
Ein weiteres fettes Plus in Sachen Karma gibt es übrigens für ihre Zusammenarbeit mit der DKMS. Wer eine Spendenbox aufstellt und diese gemeinnützige Gesellschaft mit Einnahmen aus den Merchverkäufen unterstützt, der gehört einfach zu den guten Menschen dieser Welt.

Völlig euphorisiert muss mich jetzt erst einmal ein Schokomuffin zurück in die Realität holen. Die vergangenen Minuten sind einfach wie ein Film vor meinem geistigen Auge abgelaufen. Absolut verrückt. Man sieht es mir mit meinem Bitchy Resting Face vielleicht nicht an, aber ich bin glücklich über das gute musikalische Händchen von Uncle M. Denn ohne die hätte ich diese Entdeckung vermutlich überhaupt nicht gemacht.

Die dritte Band des Abends macht sich startklar. kála haben den weiten Weg aus Österreich auf sich genommen, um heute hier in Siegen zu spielen. Mein herzliches Beileid für diese Auswahl. Siegen – die Stadt der vielen Clubgänger. Gute Bands haben es hier gewiss nicht leicht. Und ich darf das sagen, ich wohne im Zentrum dieser Stadt und höre und sehe das zweifelhafte Club-Treiben an jedem einzelnen Wochenende.

Es geht endlich los und ich verstehe nun so gar nicht mehr, was musikalisch gesehen um mich herum passiert. Das ist wohl diese verrückte Liebe auf den ersten Saitenschlag.
kála machen feinsten englischsprachigen Post-Hardcore, welcher trotz des Schrei-Gesangs ziemlich melodisch und mitreißend daherkommt. Hier und da wird dieser durch ein paar wunderbare Clean Parts und wilde Jonglagen mit Taktwechseln aufgefrischt und noch spannender gestaltet. Ein traumhaftes Facettenreichtum, das mich völlig umhaut und die Ohren in keiner Sekunde auch nur ansatzweise ermüden lässt.
Das eher überschaubare Publikum hat sich zu einer Art süßer Reihe formiert, lässt jedoch viel Raum hin zur Bühne. Und den weiß jemand zu nutzen. Während sich die Instrumentalisten von kála on stage platziert haben und von dort aus selbst mit getaptem Arm alles aus ihren Instrumenten holen, zieht Frontmann Sebastian im The Tidal Sleep Top vor der Bühne seine Kreise. Hin und her, links und rechts, vor und zurück. Wäre es mir vor so wenigen Menschen nicht unangenehm, würde ich wohl gnadenlos abgehen und mich damit restlos blamieren. Doch ich möchte nicht eigenartig aus der Reihe tanzen und so bleibt mir lediglich ein halbwegs taktvolles Kopfnicken. Innerlich brodelt es in mir und ich würde diese Band am liebsten nie wieder nach Österreich zurückkehren lassen, so sehr spielt sie sich gerade in mein Herz.
Was in Wirklichkeit so um die 45 Minuten sein sollen, fühlt sich in der Realität tatsächlich wie fünf an. Umso trauriger also, als der letzte Song des Abends beginnt. „Disconnected“ ist einer dieser Mitsing-Ohrwürmer, die man einfach nie wieder los wird. Man munkelt, ich hätte von diesem Lied bereits geträumt…

Und das soll es dann auch gewesen sein. Die Show ist vorbei. Ich fühle mich so aufgekratzt wie ein Eichhörnchen auf Drogen. Mit meiner Begleitung checke ich die nächsten Tourdaten von anorak. und kála und so verabreden wir uns nach großen Liebesbekundungen zu einem weiteren Date am 24.02. in Düsseldorf – einem weiteren phänomenalen Abend.

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