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[dropcap]A[/dropcap]m morgigen Samstag ist es soweit: Aufbau West spielen ihre Abschlussshow in Geseke und ich weiß gerade so gar nicht mehr, wie ich mit all meinen Gefühlen dazu umgehen soll…

Ich sah in meiner Vergangenheit schon einige Bands und Bandmitglieder kommen und gehen, weinte mal mehr und mal weniger. Doch nichts davon traf mich bisher so sehr wie das, was nun kurz bevor steht.
Es ist nicht so, dass ich ohne Aufbau West überhaupt nicht leben könnte, so weltfremd bin ich nun auch nicht. Tatsächlich kann ich aber erahnen, wie viel die Band den Akteuren bedeutete. Und auch aus einer der bisher wichtigsten (Findungs-)Phasen meines Lebens wären Aufbau West absolut nicht wegzudenken gewesen.

Nein, das ist kein Edding und ja, es ist perfekt so wie es ist.

Ich bin Zweitbester hinter euch
Kein Haus, kein Hof, kein Auto, kein Plan
Ich bin Zweitbester hinter euch
Mein Zimmer, mein Ruf, mein Kissen, mein Schlaf
Nicht viel, was ich zu bieten hab‘
Ich bin Zweitbester hinter euch
Kein Rausch, kein Geld, keine Mädchen, kein Spaß

Ich kannte den Namen Aufbau West wie so viele durch Jennifer Rostock, bin Flo sogar zufällig mal unbekannterweise auf einem Konzert in Oberhausen über den Weg gelaufen. Eines Tages erhielt ich eine Promomail zum Album „Zweitbester“ und mein Bauchgefühl sagte mir, ich müsse da unbedingt reineinhören. Ich gab mir aus einem unerklärlichen Grund große Mühe bei der Rezension, fragte mein zweites Face-To-Face-Interview überhaupt an und ahnte nicht, wie viel diese kleine Entscheidung ins Rollen bringen würde…

mit Flo im sissikingkong in Dortmund

Ein ausverkauftes Sissikingkong, eine Hand voll Menschen in einer hessischen Kleinstadt. Fahrten an die für mich entlegensten Orte wie Fulda, Paderborn oder Warendorf. Ein Konzert mit Kinderchor, verrückteste Aftershow-Erlebnisse zwischen verrauchter Kneipe, Geheimniskrämerei, Breakdancing, Baustellenlärm. Seltsame Szenerien ähnlich jenen aus den seltsamsten Teeniefilmen. Und dann auch noch dieses plakative Tattoo. Wenn ich etwas mit Aufbau West erlebte, dann wohl eine unglaublich intensive Zeit, völlig bekloppt und genau dashalb auf ihre Art und Weise auch einfach unvergesslich.

Aufbau West in Fulda

Natürlich hatten wir auch mal schlechte Phasen – Und das tatsächlich gar nicht mal so knapp. Für einige Zeit herrschte es aus persönlichen Gründen Funkstille zwischen uns und ich kann mich leider auch nicht davon freisprechen, dass ich der Band oder zumindest einzelnen Akteuren im einen oder anderen Moment auch mal nicht so schöne Dinge gewünscht habe.

Ich setze Flüche auf ihn an,
wünsch‘ ihm die Krätze ins Gesicht

Doch es gibt Menschen, die kann man nicht dauerhaft aus seinem Leben verbannen, weil sie einem ja doch zu viel bedeuten. Und da es schier unmöglich war, den Erinnerungen an die schönen Zeiten zu entfliehen, feierten wir nach meiner kleinen Rezension zur EP schließlich im Oktober 2017 unser großes Wiedersehen mit viel Freude.

Aber manchmal, da denk ich viel zu oft an dich
wie der Wind die Bewegung oder wie Motten das Licht
wie der Trinker den Rausch – so sehr brauch‘ ich dich

Du bist nicht wie ich, du bist anders
Viel lauter als was ich je gekannt hab‘
Du sprichst nur über das, was du an hast,
in deinen Lästereien bin ich Stammgast

Der Konzertabend in Oberhausen lässt sich als atemberaubende Stunden zwischen Vertrautheit und tollen neuen Vibes beschreiben, irgendwie völlig irreal. Es war eigentlich alles perfekt – bis die Seifenblase im darauffolgenden November auch schon wieder unerwartet zerplatzte. Um Weihnachten herum erfuhr dann auch der Rest der Welt von der schwerwiegenden Entscheidung. Kein schönes Geschenk.

Der Blick auf die Termine der Abschiedstour stimmte mich traurig. Mitten in der Bachelorarbeitsphase, alles nicht so toll zu erreichen – mich beschlich die leise Panik, diese Band nie mehr wieder sehen zu können. Aber das hätte ich mir einfach nicht verzeihen können. Und wie es das Schicksal (und ein Bällebad) so wollte, bot sich für mich die Gelegenheit, nach Bielefeld zu reisen wo ich Aufbau West mit meiner Anwesenheit überraschte und mich aufgrund technischer Probleme (oder vielmehr persönlicher Dummheit) einen Abend lang rein auf das Mitsingen und Herumhampeln konzentrieren konnte. Die Tränen ließen sich bis zum vorletzten Song zurückhalten. Innerlich wusste ich dennoch: Das ist noch nicht der endgültige Abschied für uns. Es führt kein Weg am letzten Abend in Geseke vorbei.

mit Aufbau West im STEREO Bielefeld

Morgen ist es soweit. Ich bin mehr als gespannt darauf, wie sich der Abend der Abschlusshow so anfühlen wird – an jenem Ort, an dem die Bandgeschichte begann und an dem noch weitaus mehr Menschen zu Gast sein werden, die vielleicht noch intensivere Erfahrungen mit der Band gemacht haben als ich. In weiser Voraussicht werde ich wohl mein halbes Gepäck allein mit Taschentüchern vollstopfen…

Aufbau West waren für mich seit unserem ersten Treffen zu keinem Zeitpunkt mehr nur diese eine Band im Schatten von Jennifer Weist, die da so „diesen einen Song hatte“. Wer sich auch nur im Ansatz genauer mit den Jungs beschäftigte und sich durch den einen oder anderen kryptischen Songtext kämpfte, konnte so viel andere bewegende Musik entdecken. Von persönlichen Erfahrungen eines jungen Erwachsenen wie gebrochenen Herzen, Selbstmitleid und zum Teil schon zwanghaft wirkendem Anderssein wuchs die Musik der Band mit ihren Interpreten – und mündete zuletzt sogar in hochaktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen wie Krieg, Rassismus und Depressionen.
Auch über die hervorragende Performance auf Bühne hinaus waren Aufbau West etwas ganz Besonderes für mich: Freunde, die man zwar nur alle paar Wochen oder Monate mal im Kontext ihrer Arbeit traf, dort aber eben auch über Gott und die Welt philosophieren und gemeinsam Spaß haben konnte, sofern man es denn wollte.
Gödde, den ich als ’nen lustigen Typen in Erinnerung behalten werde, der fast immer ’nen lockeren Spruch und ein schelmisches Grinsen auf den Lippen hat.
Martin mit dem ansteckenden Lächeln, den wärmsten Worten und den herzlichsten Umarmungen der Welt.
Flo, der meine Sicht auf das Leben einmal komplett auf den Kopf gestellt hat und auf den ich mich blind verlassen kann, wenn es um ehrliches Feedback geht.

Was sind schon kiloweise Realness,
wenn man nur Einer von so Vielen ist?

Auch wenn ich mir noch gar nicht so recht vorstellen kann, wie diese Drei ohne die Musik der Band auskommen werden, wünsche ich ihnen bereits auf diesem Weg alles Liebe für die Zukunft…
… und hoffe innerlich natürlich auf eine Reunion. Ihr wisst ja, wie ihr mich erreicht.

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Gedankengänge · Musiknews