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[dropcap]M[/dropcap]anchmal lohnt sich der Blick über den Tellerrand hinaus. Als wir vom kleinen Sommersause Kulturfestival im Dortmunder Norden erfuhren, wagten wir genau diesen und bereuen den Schritt keineswegs. Selten verbrachten wir so einen wunderbaren Nachmittag mit unglaublich offenherzigen Menschen und toller Musik. Auch ein paar Vorurteile konnten wir endlich ablegen. Headliner und Mottogeber dieses Open Airs waren in diesem Jahr Tonbandgerät.

Endlich eine Pause vom Lernstress, endlich wieder abtanzen. Ob in der Sonne oder im Regen – ich bin so froh über diese Abwechslung und bin dementsprechend vorfreudig, als ich mich auf den Weg nach Dortmund mache. Laut Wetterbericht soll es heute maximal 20 Grad Celsius warm werden. Immerhin soll es trocken bleiben, obwohl selbst das Wetter bei Tonbandgerät für uns seit dem Festival contre le racisme keine Rolle mehr spielt.

Im Dortmunder Norden angekommen fragen Karolin und ich uns zunächst, wie wir nun zum Veranstaltungsort kommen. Kaum den Gedanken geäußert, entdecken wir auch schon Hinweise auf das Festival. Von jetzt an lassen wir uns tatsächlich von entsprechenden Festivalplakaten samt Richtungspfeilen zum Gelände leiten. Wir sind begeistert! Allein davon kann sich ein manch anderes Festival eine Scheibe abschneiden.

Am Eingang des Geländes angekommen, werden wir überaus freundlich und zuvorkommend begrüßt. Ich bin gespannt auf das, was uns nun erwarten wird. Schließlich kommt das Motto „Irgendwie anders“ nicht von ungefähr.
Wir befinden uns nämlich nun auf dem Gelände der Werkstätten der AWO Dortmund GmbH. Für alle, die damit auch noch nichts anfangen können – hier befinden sich jene Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zum Zwecke der beruflichen Rehabilitation arbeiten. Die Palette der hier ausgeübten Dienstleistungen ist vielfältig – unter jenen Dächern vereinen sich verschiedenste Montage- und Verpackungsarbeiten, sowie eine Industrienäherei und Wäscherei für Großkunden wie beispielsweise Seniorenzentren. Auch Landschaftspflege oder die Arbeiten in einem Gewächshaus zählen zu den täglichen Arbeiten der Werkstätten der Arbeiterwohlfahrt Dortmund.
Und genau dies steckt dann auch in der Sommersause. Hier präsentieren sich inklusive Projekte aus der kulturellen Arbeit mit Menschen mit Behinderung, welche sich die Bühne gleichberechtigt mit Musikern mit und ohne Behinderung teilen. Sowohl in der Planung, Organisation, als auch in der Durchführung arbeiten verschiedenste Menschen Hand in Hand zusammen.

Wir laufen einen kleinen Weg entlang. An ihm reihen sich Dinge wie ein Eiswagen, Handwerks- und Essensstände auf. Ebenso entdecken wir einen Stand, an dem man Luftballons in die Höhe steigen lassen und dabei diverse Gutscheine gewinnen kann.
Wem das noch zu wenig Action ist, der kann sich direkt nebenan an den zwei Kickertischen austoben oder aber vor der im Zentrum des Geschehens liegenden Bühne ausgelassen tanzen.
Ich gebe es zu – anfangs gibt es bei mir noch kleine Berührungsängste. Es fühlt sich etwas seltsam an, sich unter so viele Menschen mit Behinderungen zu mischen. Ich brauche ein wenig Zeit, da mich in der mir völlig neuen Situationen die Angst plagt, ich könne mich irgendwie falsch verhalten. Eigentlich ein bescheuerter Gedanke, schließlich könnte mir das theoretisch überall in absolut jeder Situation passieren.

Doch ich brauche gar nicht lange, unterhalte mich wundervoll und offen mit Teilen des Organisationsteams und genieße die so fröhliche Grundstimmung, die mir sonst vielerorts fehlt. Den Auftritt der Diakonie-Rockband Unkaputtbar bereits verpasst, wird nun vor der Bühne zur Musik von Inklufusion getanzt, ich sehe so viele glückliche Menschen um mich herum. Diese Stimmung steckt an. Und ganz nebenbei erfahre ich, dass ein Ex-Mitglied der Band Luxuslärm auf der Bühne steht. Verrückt!

Wir setzen uns vor die Bühne und lauschen der Musik der Band der AWO-Werkstätten Starclub in Kooperation UNIted Voices von der Technischen Universität Dortmund. Irgendwie erinnern sie uns musikalisch an Endlich Samstag!, eine Jugendserie des Bayrischen Rundfunks, welche ich mir früher gern angesehen hatte.

Wir lassen unsere Blicke umherschweifen und erblicken aus der Ferne die Jungs und Mädels von Tonbandgerät. Diese genießen genau wie wir das sonnige Wetter in vollen Zügen und bestätigen mir einen weiteren positiven Aspekt des Festivals – hier können sich die Musiker noch ganz normal unter das Publikum mischen, ohne direkt belagert zu werden. Das erinnert mich an eines der Gespräche nur wenige Momente zuvor, in dem ich erfuhr, dass sich Maxim vor seinem Gig bei der Sommersause ebenso unter die Leute gemischt hatte, ein paar Selfies mit Leuten machte und das Festival in vollen Zügen genoss.

Wir holen uns eine kleine Stärkung und lassen unsere Blicke weiter über das Gelände schweifen. Plötzlich bekomme ich von einem jungen Mann ein Kompliment für meinen Kleidungsstil und fühle mich geschmeichelt. DAS ist mir sonst auch noch nie passiert. Die Leute hier sind so unfassbar offen und herzlich, ich verliebe mich immer mehr in diese Atmosphäre.

Mittlerweile haben sich Tanzfieber auf der Bühne eingefunden und tanzen etwa zu Musik von Helene Fischer und Taylor Swift. Karolin und ich sind uns einig – wir wären zu diesen Bewegungsabläufen trotz fachkundiger Anleitung inmitten des Publikums kaum fähig. Komplettiert wird diese Darbietung schließlich durch die Musik von The Evergreen Donkey, welche anschließend noch Songs aus ihrem Indie-Rock-Repertoire zum Besten geben und damit wie irgendetwas zwischen Arctic Monkeys und R.E.M. klingen. So verrückt es wirken mag – Bassist Luc erinnert uns auf Anhieb an eine Mischung aus Martin und Johannes von Aufbau West. Wer uns nicht glaubt, sollte sich die unten stehende Galerie besonders genau ansehen!

Mittlerweile hat Karolin die Lust auf einen Luftballon gepackt und so gebe ich nach und wir lassen uns mit ihrem neuen heliumgefüllten Freund an einer anderen Stelle der Wiese nieder. Dort kämpft Ole von Tonbandgerät gerade am Kickertisch um seine Ehre. Als Karo schließlich lebensmüde wird und den Ballon an ihre Schnürsenkel bindet, passiert das von mir Erwartete – er fliegt davon und unsere Reaktion darauf sorgt auf jeden Fall für allerhand Aufmerksamkeit. Mach’s gut, lila Freund!

Wenn es nach uns ginge, könnte es ewig so weitergehen, jetzt mal abgesehen vom schmerzlichen Verlust des Luftballons. Es tut schon allein gut, gemütlich auf der Wiese zu sitzen und glückliche Menschen zu beobachten. Den Auftritt des Trommelprojekts von Bethel Regional bekommen wir von dort aus leider nur akustisch mit, aber immerhin geht das Set von We LOVE Reggae nicht optisch an uns vorbei. Es wäre auch zu schade gewesen, hätten wir die zum Sound des Sommers tanzenden Menschen vor der Bühne nicht gesehen. Dieser Anblick ist einfach nur herzerwärmend schön. Davon könnte sich so manch anderes Festivalpublikum gern eine Scheibe abschneiden.

Die Zeit vergeht wie im Flug und wir sehen nun die Musiker von Tonbandgerät die Bühne entern. Zunächst können wir gemütlich beim Aufbau zusehen und dem Soundcheck lauschen, ehe es tatsächlich losgeht.
Während es zu Beginn noch ein paar technische Probleme gibt, lässt sich Front- und Strahlemann Ole natürlich so wenig wie möglich anmerken. Ich glaube, ohne genauere Kenntnis über den Klang der ersten Songs der Setlist fiele der Ausfall auch gar nicht so stark auf. Doch natürlich sieht man das Gewusel rund um die Gitarren. Aber die Band bekommt die Situation in den Griff und Ole witzelt schließlich sogar über den heutigen Einsatz von Gitarristin Sophia. Sympathisch! Weitere Sympathiepunkte gibt es zweifelsohne für die Erinnerungen an den Zivildienst, an welchen Ole und Jakob bis heute gern zurückdenken.
Und was gibt es nun sonst noch zu diesem Gig zu sagen? Die 17 Songs machen nicht nur uns Spaß. Es wird eifrig mitgetanzt, -gesungen und -gesprungen. Tonbandgerät beweisen wieder einmal, dass sie eine der besten Livebands sind, die Deutschland zu bieten hat. Ob große Touren, riesige Festivals wie das Hurricane oder eben das Sommersause Kulturfestival, diese Band bleibt sich seit Jahren treu und ist dabei weiterhin trotz ihres Erfolges absolut bodenständig geblieben.

So ist es nicht weiter verwunderlich, als sich so Mancher schon vor Ende noch Zugaben wünscht oder Ole einen Handschlag gibt. Der Andrang am Merchandisingstand im Anschluss an das Konzert räumt dann die letzten verbliebenen Zweifel aus – Tonbandgerät haben einen tollen Eindruck beim Dortmunder Publikum hinterlassen.

Und auch sonst gibt es durchweg positives vom kompletten Festival zu berichten. Es lohnt sich, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Die Sommersause im Dortmunder Norden ist zweifelsohne einen Besuch wert.

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