[dropcap]V[/dropcap]or einigen Tagen nutzte ich eine ganz besondere Gelegenheit, die ich mit Schallgefluester so schnell nie bekommen hätte. Im Auftrag des Musicheadquarter zog es mich ins Gloria Theater in Köln, um dort The Pretty Reckless zu fotografieren.
Ja, ich gebe es zu. Es kam mir tatsächlich doch ein wenig unwirklich vor, als ich die Zusage dazu erhielt, The Pretty Reckless im Gloria Theater in Köln fotografieren zu dürfen. Das liegt nun nicht daran, dass ich Taylor Momsen für die größte Gottheit in Person halte. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass man ruhig ein wenig Ehrfurcht mitbringen kann, wenn man eine Person wie sie ablichten darf. Schließlich ist Taylor bekannte Ex-Schauspielerin, Musikerin, Model und eine wahre Style-Ikone. Wie viele Andere hat sie unter anderem auch mich in meinem Auftreten positiv beeinflusst.
Etwas eigenartig fühlt es sich schon an, als ich eine knappe Stunde vor Einlass auf die Schlange vor dem Gloria Theater stoße. Zunächst glaube ich für einen kurzen Moment, hier finde eine Klassenfahrt statt und man wolle die Kirche besuchen. Da das allerdings dann eine ziemlich große Klassenfahrt wäre und sich auf den zweiten Blick schon beinahe verschiedene Generationen vermischen, erwäge ich ein Verwerfen meiner Gedankengänge. Das entscheidende Indiz liefern mir dann die Styles mancher Mädchen in der Warteschlange. Da diese für den Besuch einer Kirche vermutlich eher ungeeignet sind, ordne ich zielsicher ein: Hier geht’s zum Konzert von The Pretty Reckless.
Sicher dürfte ich an dieser Stelle nun als akkreditierte Presse auch an der Schlange vorbeihuschen, doch halte ich das am heutigen Tage nicht für nötig. Dann lieber mit ein paar ebenfalls etwas weiter angereisten Konzertbesuchern quatschen. Die sind nämlich in der Tat ziemlich cool drauf.
Pünktlich während des ersten Songs der Vorband The Cruel Knives finde ich mich dann im Gloria Theater wieder und haste in den Pressegraben. Geschafft.
Zack, schon bin ich mittendrin, statt nur dabei. Wirklich voller und enger dürfte der enge Graben nicht sein und wenn ich das tun wöllte, dann könnte ich dem einen oder anderen Bandmitglied an sämtliche Körperteile greifen. Doch dafür bin ich nun wirklich nicht hier.
The Cruel Knives sind jung, energetisch und machen ganz schön viel Action bei ihrer Performance. Vom rockstarmäßigen Styling über die krachenden Alternative-Rock-Songs ergibt alles ein stimmiges Gesamtbild. Und dem Publikum wird ordentlich eingeheizt.
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Ich wippe auch abseits des Grabens noch ein wenig mit, bereite mich mental aber bereits auf den Hauptact des Abends vor. Für The Pretty Reckless haben wir statt der für die Konzertfotografie üblichen drei Songs dieses Mal nur zwei zur Verfügung. Umso mehr müssen die Perspektiven und Schüsse sitzen – was in einem prall gefüllten Graben schon der größeren Kunst entspricht.
Während der Umbaupause dann läuft bereits der eine oder andere zum Mitsingen geeignete Song und ich verschaffe mir vom Getränkestand am Eingang des Pressegrabens aus einen Überblick. Ja, das Publikum wirkt im Durchschnitt doch eher jünger. Dass die Optik an sich aber nicht allzu viel aussagt, sollte man spätestens mit Blick auf mein eigenes Antlitz bemerken…
Zumal ich an dieser Stelle auch eine andere Frage in den Raum werfen muss: Es wird öfter mal ein junges Publikum bei der einen oder anderen „eigentlich ernstzunehmenden“ Band kritisiert. Gerade im Zusammenhang mit The Pretty Reckless habe ich schon häufiger davon gehört oder gelesen. Doch was genau spricht denn bitte dagegen, dass junge Menschen Konzerte mit guter Musik besuchen, solange sie sich nicht allzu daneben benehmen? Hat irgendjemand da draußen ernsthaft eine solch egoistische Angst davor, dass die Jugend von heute einem die Lieblingsband „wegnehmen“ könnte?
Wenn eine Band wirklich Charakter hat, zu ihren Idealen steht und sich nicht von Kids oder auch Andersaltrigen (wer sagt, dass sich nur Menschen U18 „daneben benehmen“?) auf der Nase herumtanzen lässt, dann sehe ich da gar kein Problem. Und im Zweifelsfall ist eben die Band das eigentliche Problem, wenn sie sich aufgrund ihrer Fangemeinde ins Negative verändern sollte. Denn wie schrieb Chris Zehetleitner zuletzt so schön im FUZE Magazin? „Jeder bekommt die Fans, die er verdient.“
Nach einiger Wartezeit und vielen „Taylor“-Rufen ist es endlich soweit. The Pretty Reckless betreten die Bühne und das Gloria Theater rastet aus. Jedem ist klar, wer der eigentliche Star des Abends ist: Frontfrau Taylor Momsen mit ihren tiefschwarz geschminkten Augen und ihrem langen Ledermantel. Unter diesem sicher nicht ganz leichten Ungetüm trägt sie ein dunkles Longtop mit einem Kreuz, eine enge Hose und hochgeschnittene Lederstiefel. Ja, diese Frau ist eine echte Erscheinung – und ein zunächst schwierig zu fotografierendes Objekt, fliegt ihr doch tatsächlich beim Singen ständig ihre wilde blonde Mähne ins Gesicht.
Ich bewege mich irgendwo zwischen eigener Unsicherheit und Faszination. Einerseits fesselt mich diese Frau, andererseits verängstigt sie mich mit ihrer Art und ihren Blicken irgendwo zwischen gnadenlos verrucht und arrogant ein wenig. Doch so ist das eben, das ist Teil ihres Images. Und das hat sie mit jeder Faser ihres Körpers verinnerlicht.
Taylor Momsen kann in der Tat auch live wirklich gut singen und performen. Sie ist eine Rockröhre wie aus dem Bilderbuch. Und die Fans singen begeistert mit, wo es nur geht.
Für mich absolut unvergesslich: Der Moment, in dem das Publikum durch seine lauten Sprechchöre für eine Änderung der Setlist sorgt. Es ist das Gänsehauterlebnis schlechthin, als die Band an diesem Abend „Just Tonight“ mit tatkräftiger Unterstützung des ausverkauften Gloria Theaters performt.
Ein wenig schmunzeln muss ich schon, als ich das Konzert von The Pretty Reckless etwas früher als ein Großteil der Besucher verlasse, um noch den letzten Zug nach Hause zu erwischen. Draußen vor dem Club begegne ich nämlich dem einen oder anderen wartenden Elternteil – und möchte am liebsten jedem einzelnen davon ins Gesicht grinsen und mitteilen, dass er oder sie da selbst gerade ein hervorragendes Konzert verpasst hat.
Ein großer Dank gilt besonders Marc Brueser vom Musicheadquarter, ohne den der Besuch dieses Konzerts nicht möglich gewesen wäre.