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[dropcap]A[/dropcap]ls Autorin eines Musikblogs ist man viel unterwegs und bekommt dabei allerhand auf die Ohren. Man erlebt Künstler, die man unglaublich feiert und gruselt sich vor dem Sound anderer. In letzter Zeit habe ich wirklich viel über die Sache nachgedacht, führte so manches Streitgespräch und wurde für meine Meinungsäußerungen nicht immer nur geschätzt.

Dies veranlasste mich zu ein paar ausführlicheren Gedankengängen zum Thema Musikgeschmack.Manchmal stecke ich in einer echt verzwickten Lage. Ich habe mir mit diesem Musikblog auf die Fahnen geschrieben, diejenigen Künstler zu supporten, die ich selbst für unterstützenswert halte. Die, bei denen ich persönlich spüre, wie viel ihnen die Musik wert ist und deren Werke irgendetwas in mir bewegen.
Natürlich bekomme ich aber auch andere Musik auf den Schreibtisch. Songs, bei denen ich mir nicht sicher bin, was sich die Künstler dabei gedacht haben. Hin und wieder frage ich mich dabei, wen ein Musiker mit jenen Werken erreichen und was er damit konkret bezwecken möchte.
Nun, was man aus dem Alltagsleben grundsätzlich ja schon einmal kennen sollte – der persönliche Geschmack ist ein rein subjektives Empfindungsurteil. So wie ich die niederländische Sprache mag und Schlagermusik verabscheue, gibt es da draußen genügend Leute, die sich über die Mischung von Deusch, Englisch und Kauderwelsch kaputtlachen und deren größtes Highlight der Besuch eines Helene Fischer Konzerts wäre. Und ja verdammt, das ist auch völlig in Ordnung, denn ich wiederhole es gern – der persönliche Geschmack ist verdammt nochmal nicht objektiv beurteilbar!
Natürlich kann man sich hier und da an manchen Richtwerten entlang hangeln. In der Musik gibt es eine Menge handwerklicher Griffe, deren Beherrschung für einen grundsätzlich guten Sound sorgt. Diese können sich von Genre zu Genre, ja sogar von Band zu Band oder Epoche einer solchen aber auch wieder unterscheiden. Es macht schon einen großen Unterschied, ob sich eine Band jetzt Rock/Pop oder Grindcore auf die Fahnen geschrieben hat, ob man jetzt das erste oder fünfte Album einer Band beleuchtet, die während ihres musikalischen Schaffens menschlich und musikalisch entscheidend gereift ist. Vielleicht möchte es ja gar nicht jede Band ausproduziert und clean haben, eventuell soll alles ja ein wenig rotziger klingen. Es kann Ahnungslosigkeit oder aber auch Kalkül sein, wenn sie Dich mit möglichst vielen Taktwechseln und Tonartsprüngen verwirren. Das ist wie bei diesen Interpretationen in der Schule. Man kann so viele Dinge um etwas herumspinnen, ganze Luftschlüsser um verschiedenste Werke herum kreieren.
Mit viel Glück ist ein Künstler nun dazu bereit, die persönlichen Intentionen preiszugeben und Du hast die grandiose Gelegenheit dazu, diese nach deinen Möglichkeiten zu überprüfen… das ist nun aber nicht immer der Regelfall und auch das geht in Ordnung.
Entweder gehört man nun zu den krassen Menschen, die Musiktheorie bis ins minimalste Detail studiert haben und zerlegt alles bis in die kleinste Faser oder man lässt sich auch von seinem Gefühl leiten und beschreibt nun mit ein wenig Fingerspitzengefühl, was einem aus der persönlichen Sicht an Track XYZ von Künstler ABC gefällt und was eben auch nicht. Sei es die dem eigenen Gusto nicht gerade wohlwollend gesinnte blechern klingende Produktion oder etwa die ungewöhnliche Stimmlage jenseits von Donald Duck. Sei es der dritte Akkord im Refrain, der aus dem erwarteten Muster herausfällt und bei jedem Durchlauf von Neuem seltsam aufstößt oder das überstrapazierte Autotune. Vielleicht stört aber auch der belanglose Text oder eine einzige unpassend gewählte Zeile.
Die Einen halten alles, was nicht völlig revolutionär klingt, für den größten Mist auf Erden und Andere verspüren bei genau dieser Musik die größten Glücksgefühle. Und ich finde, das ist auch völlig in Ordnung so. Ja, verdammt, ich feiere andere Musik als Du. Ich mag den Sound der Band, deren Instrumente du am liebsten eigenhändig anzünden würdest, um deren musikalisches Wirken von nun an zu unterbinden. Ich fühle mich halt gut dabei und bitte Dich inständig darum, dies zu respektieren. Du musst diese Band nicht gut finden, weil ich sie mag, aber Du solltest dich verdammt nochmal aus meiner Gefühlswelt heraushalten.

Du schwärmst für die Musik mancher Boybands? Go for it.
Dein Herz schlägt für Castingteilnehmer? Go for it.
Du stehst auf deutschsprachigen Hip Hop? Go for it.
Für dich geht nur Musik klar, die vorher noch nie in dieser Form da gewesen ist? Go for it.
Du feierst liebend gern zu Coverbands ab? Go for it.
Klassische Musik begeistert dich? Go for it.
Du magst Thrash Metal? Go for it.
Du feierst den Sound, wenn jemand seine Instrumente quält? Go for it.
Du hörst irgendwie gern alles, was da so tagtäglich im Radio läuft? Go for it.
Du hörst einfach alles, was dich in irgendeiner Art und Weise berührt? Fucking go for it.

Und weißt Du was? Ich gehe noch einen Schritt weiter und mache kurzzeitig einen auf feschen YouTube-Guru. Steh bitte einfach dazu. Mach Dir nichts draus, wenn Andere Deinen Musikgeschmack nicht leiden können. Lass Dich nicht aufhalten und folge – um es nun möglichst kitschig auszudrücken – Deinem Herzen.
Dies gilt selbstredend auch in der anderen Richtung. Es ist verdammt nochmal genauso in Ordnung, wenn Du dem Massengeschmack nicht folgst und wenn Du einen Künstler auf den Tod nicht ausstehen kannst. Es ist okay, wenn Du einen Brechreiz beim Hören von David Guetta bekommst, aber De Randfichten magst und Dich noch immer fragst, ob der alte Holzmichl noch lebt. Das ist Dein gutes Recht, das ist Deine eigene Meinung und es ist gut, dass Du diese besitzt. Doch so sehr Du respektiert werden möchtest, das basiert eben auch auf Gegenseitigkeit. Pass bitte auf und wage es nicht, Andere aufgrund ihres Musikgeschmacks in Schubladen zu stecken und sie deshalb in irgendeiner Weise vorzuverurteilen. Denn die Einordnung des musikalischen Geschmacks als ein gesellschaftlich-soziales Distinktionsmittel spricht meiner Ansicht nach tatsächlich eher für Kleingeistigkeit als für Toleranz und Weltoffenheit.
Ich möchte nicht leugnen, dass sich in manchen Fankreisen viele ähnlich gestrickte Leute herumtreiben, doch diese bilden bestenfalls den harten Kern. Drumherum gibt es noch einen mindestens genauso großen Dunstkreis an Menschen, von denen Du vielleicht nie gedacht hättest, dass sie ebenso auf diese Musik stehen. Vielleicht ist deren heimische Bandsammlung ja sogar größer als die des Mädels in der ersten Reihe, das alle Texte wie verrückt mitsingt und von Kopf bis Fuß mit Merchandisingartikeln eingekleidet ist. Und selbst wenn nicht, weißt Du denn, was ihm die Musik des Künstlers bedeutet? Was ihn damit verbindet? Ne? Schon irgendwie verrückt, oder?

Eigentlich stellt es ja auch eine romantische Vorstellung dar. Wenn es nach mir ginge, wäre ich auch gern einer dieser coolen Menschen, der schon seit der Geburt die immer selbe Band feiert und auch keine anderen Musikstile leiden kann.
Doch – shit happens – das ist bei mir nun einmal nicht so. Früher hörte ich wegen meiner Eltern hin und wieder eine Ostrockband, entdeckte aufgrund zahlreicher Dorffeste und Auftritte mit meiner Einradgruppe Dance, Hands up, Trance Musik und die Rock-Pop-Girlgroup Vanilla Ninja für mich. Darauf folgten aufgrund meines Bruders Musiker wie Samy Deluxe, Bushido, Prinz Pi, ja sogar t.A.T.u. oder Linkin Park. Ich begann Silbermond zu lieben und mochte sie irgendwann auch nicht mehr, kam immer mehr zu völlig genreverschiedenen und dennoch allesamt eher in kleineren Kreisen bekannten Bands und Künstlern wie Nevada Tan/Panik, Emma6, Tonbandgerät, Enno Bunger, The Love Bülow, Heisskalt, An Early Cascade, Kmpfsprt oder FJØRT.
Während dieser schleichenden Entwicklung stellte ich nach und nach einen Sachverhalt fest: Ich habe zwar durchaus meine favorisierten Genres, lasse mich aber verhältnismäßig schnell begeistern oder besitze im Zweifelsfall zumindest die Achtung, um das (ansatzweise) musikalische Werk eines jeden Künstlers grundsätzlich respektieren zu können.

Etwas, womit ich tatsächlich für längere Zeit meine Probleme hatte, weil es irgendwie an meiner Kredibilität als Hörerin vieler kleinerer und vor allem härtere Bands kratzte – und weil mich eine Person, die ich einst sehr schätzte, dafür zu verurteilen schien – mein Herz schlägt für die Musik des Sängers Mark Forster.
Es ereignete sich im Frühjahr 2014, als es mir aus privaten Gründen nicht besonders gut ging. Zu dieser Zeit entdeckte ich durch einen großen Zufall seine Musik und begann zunächst sporadisch mit dem Hören seiner Songs. Ausgerechnet im größten Hit „Au Revoir“ fand ich mich wieder, begann zu strahlen und mein Bauch begann zu kribbeln. Dieses Gefühl konnte ich nicht steuern, es war einfach da und es hält bis heute an. Sei es zufällig im Radio beim Bummeln durch die Stadt oder auf einem Konzert – sobald ich Mark Forster und besonders eben diesen Song höre, funkeln meine Augen und ich beginne unwillkürlich damit, bis über beide Ohre zu grinsen. Da kann es mir auch noch so dreckig gehen, alles scheint vergessen und es geht mir gut. Ich bin mir absolut sicher, dass sich dies anhand von Tonarten, Akkordfolgen und Instrumentalen begründen lässt, aber irgendwie ist mir das in diesem Fall egal. Mark Forster ist mein persönliches Steckenpferd, meine Waffe gegen schlechte Laune, der ich so viel zu verdanken habe. Ich liebe seine positive Art und wie er über die Bühne wippt, ich mag seine lässigen Sprüche auf den Konzerten, die trotz absoluter Routine immer noch menschlich rüberkommen. Ich habe leider eine Weile gebraucht, um das mit voller Überzeugung zugeben zu können, zu viel Angst hatte ich vor einem vorgefertigten Stempel. Schließlich läuft Mark Forster im Radio, hat einen Fankreis, von dessen Größe meine sonstigen musikalischen Vorlieben nur träumen können. Doch mittlerweile ist auch das okay. Während es mir bei den anderen und kleineren Bands darauf ankommt, mich diesen nicht unterzuordnen, sie zwar für ihr Talent zu schätzen, ansonsten aber wie andere Menschen aus meinem Bekannten- und Freundeskreis zu behandeln, ist das bei Mark aufgrund seiner Berühmtheit leider nicht mehr möglich. Deshalb ist es bei ihm für mich auch noch etwas ganz besonderes, wenn er mich Konzert für Konzert wiedererkennt und sich gemeinsam mit seinem Keyboarder an vorangegangene Treffen zwischen uns erinnern kann. Natürlich sehe ich ihn trotzdem als einen normalen Menschen an und kreische nicht, wenn ich vor ihm stehe, aber mit einem Treffen mit Ole von Tonbandgerät etwa ist das nicht mehr zu vergleichen.

Was ich auf jeden Fall feststellen konnte, ist Folgendes: Es fühlt sich gut und befreit an, wenn man sich nicht verstecken muss. Wenn man offen zu dem steht, was man liebt. Gerade der Musikgeschmack ist eine rein subjektive Angelegenheit und ich finde es hochgradig lächerlich und kleingeistig, Andere wegen mancher zugegebenermaßen durchaus vorhandenen Korrelationen in bestimmten Fankreisen per se aufgrund ihres Musikgeschmacks in Schubladen zu quetschen. Den Musikgeschmack als ein gesellschaftlich-soziales Distinktionsmittel zu sehen und sich als etwas Besseres zu fühlen, weil man in irgendeiner Form  „anspruchsvollere“ Musik hört, geht einfach gar nicht und spricht vielmehr für ein gravierendes Problem mit dem eigenen Selbstbild.
Jeder Mensch ist anders. Man sollte nur den Blick über seinen eigenen Tellerrand wagen.

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