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In einer Idylle zwischen Kühen, instabilem Handynetz und Fahrradfahrern kann ich mein Glück noch immer kaum fassen. Lässt man meine Übernachtung in Berlin außen vor, so bin ich nach knappen 13 Stunden Fahrt endlich am Ort meiner Bestimmung angekommen. Mich trennt eigentlich nur noch eine kleine Fahrt mit dem Shuttlebus vom heutigen Ziel – dem Passion Of The Young (oder kurz: POTY) in Schwedt.

Was mich so weit raus aus dem schönen Nordrhein-Westfalen treibt? Wer in Sachsen aufgewachsen und anschließend ans andere Ende Deutschlands gezogen ist, den zieht die Sehnsucht halt hin und wieder zurück in den Osten. Wieso dann also nicht für ein schnuckeliges Open Air mit einem ansprechenden Line-Up und unterstützenswerten Konzept?

Beim POTY handelt es sich nämlich um ein überwiegend von Schülern der weiterführenden Schulen organisiertes Ein-Tages-Festival inmitten der sonst für junge Menschen nicht allzu spannenden Uckermark.

Ich sitze mittlerweile mit einer Gruppe jüngerer Menschen im Shuttlebus zum Festivalgelände und lasse mich durch eine fremde und dennoch irgendwie vertraut wirkende Stadt kutschieren. Eine Stadt, die aussieht wie eine Mischung jener Orte, welche meine Jugend im besonderen Maße geprägt haben. Zwischen Plattenbau, größere Freiflächen, schnuckeligen Einfamilienhäusern und ziemlich unbelebter und dennoch ganz hübscher Altstadt nehme ich einen fremden Gesprächsfetzen wahr: „Hier wohnen die alten Knacker.“  Mag sein, dass hier viele alte Menschen wohnen und auch nicht so viel für die Jugend geboten wird wie an anderen Orten, aber genau deshalb ist ja zum mittlerweile dritten Mal jetzt das POTY da. Das soll nämlich die Kinder, Jugendlichen und Junggebliebenen der Umgebung zusammenbringen und zeigen, was die jungen Menschen hier so alles auf dem Kasten haben.

Unser kleiner Menschenstrom pilgert aus dem Shuttlebus in Richtung des unübersehbaren Einlassbereichs des Festivals. Schnell noch den Sicherheitscheck passiert, Festivalbändchen angelegt und ab aufs Gelände!

Dort erwartet Einen auf den ersten Blick zunächst eine große Aktionsfläche. Hier gibt es unter Anderem die Möglichkeit, Bubble Soccer zu spielen, sich am Torwandschießen oder Surfen auszuprobieren, eine Runde mit dem Segway zu drehen oder etwa Erinnerungsfotos im Radio Fritz Bulli schießen zu lassen.

Folgt man dem Weg jedoch weiter, so landet man direkt auf dem eigentlichen Herzstück des Festivalgeländes. Hier befinden sich die riesige Bühne, allerhand Essensstände und Sitzmöglichkeiten. Ein Rundumblick bei bestem Sonnenwetter verrät mir: Hier lässt es sich gewiss aushalten, auch wenn ich mir die eine oder andere vegane Ernährungsoption wünschen würde.

Mit einer kleinen Verspätung geht es dann auch los. Die erste Band des Tages nennt sich Zwanzich 15. Nun erklärt sich auch, wieso ich im Vorfeld noch nichts zu diesem Act herausgefunden habe. Es handelt sich hierbei um ein eher neues Bandprojekt aus der direkten Umgebung, welches den Altersdurchschnitt der Festivalbesucher wohl um ein paar Jährchen anheben dürfte.

Für meinen Geschmack wirkt es ein wenig zu gewollt, wie Zwanzich 15 mit Worten wie „kuhl“ und Texten über das hippe Berlin versuchen, beim überwiegend ziemlich jungen Publikum zu landen. Vermutlich zeigt sich dieses deshalb auch erst einmal eher verhalten. Nichts desto trotz schlägt sich die Band für ihre Livepremiere musikalisch gesehen ganz gut.

Während der Umbaupausen bleibt es übrigens keineswegs still auf dem POTY. Auf der Offenen Bühne wird mal mehr und mal weniger jugendfrei von kleineren Künstlern performt. Auf mich persönlich wirkt das alles ein wenig befremdlich, aber über Geschmäcker lässt sich bekanntlich eh streiten.

Auf der Hauptbühne geht es weiter mit The Emma Project. Findige Menschen kennen diese Berliner Elektro-Indie-Band vielleicht bereits aus dem Vorprogramm von The Love Bülow. Die Mischung aus den elektronischen Klängen, der prägnanten kraftvollen Stimme des Sängers Fabrice und dem strahlenden Sonnenschein lädt zum Träumen ein. Außerdem beschleicht mich das Gefühl, dass sich das eine oder andere Mädchen während des Auftritts ein wenig in Fabrice verguckt.

Einen Umbau später entert das Trouble Orchestra die große Bühne des POTY. Die genreübergreifende Band aus dem Hause Audiolith klingt wie eine besonders energiegeladene Mischung aus Kraftklub und The Love Bülow. Zwischen Hip-Hop, Indie-Pop, Punk und einer gewissen musikalischen Leichtigkeit verstecken sich zum Teil recht kritische Texte. Das Trouble Orchestra macht schon ganz gut Stimmung, dennoch beschleicht mich das Gefühl, dass die Besucher des Festivals noch etwas gehemmt sind. Schade, eigentlich wäre das ein guter Zeitpunkt für eine ausgelassene Runde Pogo.

Während sich das Publikum nun also schon länger eher verhalten gezeigt hat, ist es ausgerechnet der Auftritt von Rapper Mortis, bei dem die Leute dann warm werden. Man bekommt zunehmend Lust auf’s Bouncen, also das für den Hip Hop übliche rhythmische Bewegen der Arme. Hoch und runter, hoch und runter…. Der talentierte Rapper, welcher die Beats seines Debütalbums allesamt selbst produziert hat, weiß mit dem Publikum umzugehen und bezieht es sogar in einen Geburtstags-Anruf an seinen eigenen Vater ein. Happy Birthday! Nach seinem Gig wartet dann tatsächlich auch eine kleine Menschentraube am Backstage-Eingang auf Mortis.

Langsam wird es ernst. Der erste große Headliner macht sich bereit. Und das Wetter schlägt um. Ja, es beginnt doch tatsächlich zu regnen. War’s das jetzt etwa mit dem tollen Festivaltag? Soll der Rest jetzt buchstäblich ins Wasser fallen?

Aber nein – irgendwas im Himmel meint es tatsächlich gut mit allen Beteiligten des POTY. Vielleicht ist es aber auch nur Fan der Gute-Laune-Band Tonbandgerät, denn schon kurze Zeit später hat sich die Wetterlage wieder beruhigt und die Band kann überwiegend im Trockenen performen.
Und auch das Publikum kommt endlich in Fahrt, es wird mitgesungen und getanzt. Als wäre das noch nicht genug, zitiert Sänger Ole eine bei der Band eingegangene E-Mail mit einer ganz besonderen Bitte: Der Verfasser möchte auf diesem Festival einmal so richtig pogen können. Beim anderen Headliner sei dies ja nicht mehr zu erwarten.

Eine Herausforderung, der sich die Hamburger nur allzu gern stellen. Es geschieht etwas völlig Verrücktes für eine Tonbandgerät Show: Während die Band nun also kurz „Blitzkrieg Bop“ von den Ramones anspielt, beginnt ein Teil des Publikums tatsächlich zu pogen. Was für allgemeine Erheiterung sorgt und wohl beide Seiten in großes Staunen versetzt, bringt den Knoten bei den Zuschauern schließlich komplett zum Platzen. Ja, ab sofort wird zwischen Konfettikanonen und Mitsing-Parts auch zu Songs von Tonbandgerät gepogt. Das habe selbst ich als langjähriger Fan der Band bisher noch nicht erlebt.

Eine letzte Umbaupause. Vorfreude und Traurigkeit liegen eng beieinander. Einerseits werden gleich die zweiten Headliner des Abends die Bühne betreten, andererseits bin ich noch nicht für das nahende Ende des POTY Festivals bereit.

Kurz nachdem ich mich im Bühnengraben positioniert habe, betritt die letzte Band des POTY 2016 die Bühne. GLORIA nennt sich das Duo rund um die bekannte deutsche TV-Ulknudel Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol, den Ex-Gitarristen und Bassisten der Band Wir sind Helden. Um den Sound von Platte aber auch live erlebbar zu machen, wird das Duo von vier weiteren Musikern unterstützt.

Was folgt, ist ein Konzert der Kontraste. Während Klaas Heufer-Umlauf einen Balanceakt zwischen Ulkereien wie aus dem Fernsehen und emotionalen Songs hinlegt, ist sich auch das Publikum uneinig. Da gibt es diese Leute um mich herum, welche zwischen den Songs TV-Referenzen brüllen und hoffen, dass diese erwidert werden. Während der Lieder wird dann auch noch gequatscht. Ein anderer Teil des Publikums möchte am liebsten nur die Musik hören und ruft Dinge wie „nicht labern, singen!“. Und dann gibt es die Menschen wie mich, die einfach nur den Auftritt genießen wollen, über das Witze-Feuerwerk zu Putzfrau Sabine, einem Wespennest und Rolf Schneider lachen, bei der Cover-Version des Wir sind Helden Hits „Wenn es passiert“ und eigenen Songs wie „Geister“ oder „Eigenes Berlin“ euphorisch mitsingen. Was bleibt, ist ein erstaunlicher gemeinsamer Nenner: Am Ende will niemand so wirklich, dass die Band nach knappen anderthalb Stunden die Bühne verlässt.

Gewusel. Allgemeine Aufbruchstimmung. Ich warte den ersten Besucherstrom ab. Flutlichter erhellen den Platz und nun begebe auch ich mich in den Shuttlebus. Während ein Großteil der Festivalbesucher nun die Heimreise antritt, zieht es mich noch zur Aftershow Party in den New IP Club. Dort wird bis zum Morgengrauen getanzt, geredet und getrunken, ehe ich morgens am Bahnhof noch auf weitere Verrückte treffe, mit welchen ich den gemeinsam in den allerersten Zug des Tages in Richtung Berlin einsteige.

Sieht man mal von kleineren organisatorischen Ungereimtheiten ab, die auf so gut wie jedem auch noch so professionell veranstalteten Festival auf der Tagesordnung stehen, dann bin ich absolut begeistert von der Umsetzung des POTY Festivals. Der einzige meiner Meinung nach wirklich wichtige Verbesserungsvorschlag wäre das Erweitern des kulinarischen Angebots hin zu mehr vegetarischen und veganen Optionen – und sei es nur durch eine Pommesbude.

Fotos vom Passion Of The Young Festival (POTY) 2016 in Schwedt