[dropcap]E[/dropcap]s ist wohl eins der am sehnlichsten erwarteten Musikalben in meinem Umfeld. Am kommenden Freitag, dem 17. November 2017, erscheint endlich „Couleur“, das dritte Studioalbum von FJØRT.
Als ich vor mehr als drei Jahren zum ersten Mal von FJØRT hörte, da wurde ich noch dafür bemitleidet, sie noch nicht live gesehen zu haben. Sie wurden mir als eine Band beschrieben, der man aufgrund ihrer Energie und des imposanten Sounds kaum Glauben schenken mag, dass sie tatsächlich nur zu dritt sein sollen. Es vergingen einige Monate. Ich besuchte endlich eine Festivalshow von FJØRT und wusste von diesem Zeitpunkt an genau, was die Person damit meinte.
Während meiner ersten musikalischen Erfahrung mit der Aachener Posthardcore-Combo tat ich mich noch nicht mit allen Facetten ihrer Musik so leicht wie heute und war umso dankbarer für Songs wie „Valhalla“ und „Hallo Zukunft“. Ich brauchte die melodiöseren Refrains und die noch teilweise vorhandenen Cleans und nutzte diese als eine Art Regenerationsphase vom sonst deutlich härteren Sound. Mittlerweile haben sich meine Hörgewohnheiten ein wenig verändert und ich kann sogar zu jedem beliebigen Track der Discographie von FJØRT einschlafen. Bleibt nur zu hoffen, dass mir das niemals auf einer Liveshow passieren wird.
Am Montag, dem 18. September 2017 streamte die Band eine knapp 24-minütige Session mit insgesamt fünf neuen Songs auf ihrer Facebook-Seite. Die Resonanz darauf war beeindruckend, denn die Fans zeigten sich überwiegend gehypt von all dem neuen Songmaterial und dem wunderschönen Ambiente. Eine Woche später gaben FJØRT neue Live-Termine im Rahmen der geplanten Veröffentlichung des Albums „Couleur“ bekannt. Und um die Fans nicht zu lange zappeln zu lassen, folgten in angemessenen Abständen zwei weitere Paukenschläge in Form der Musikvideos zu „Couleur“ und „Magnifique“, welche sich erzählerisch und optisch perfekt in die komplette Szenerie rund um das Album eingliedern.
Im Rahmen des Entstehungsprozesses der neuen Platte arbeiteten FJØRT erstmals mit dem Produzenten Philipp Koch (Heisskalt) zusammen, der unter anderem schon bei den Kracher-Alben „Holy“ von den Blackout Problems und „Get Better Get Worse“ von Smile And Burn seine Finger im Spiel hatte.
Führt man sich dieses Rundumpaket einmal vor Augen, so darf man die Erwartungen an dieses Album recht hoch ansetzen…
Fakten: FJØRT – Couleur
Name | Couleur von FJØRT |
Erschienen | am 17. November 2017 via Grand Hotel Van Cleef |
Musikstil | deutschsprachiger Post-Hardcore mit Postrock-Elementen |
Weitere Infos | Facebook | Webseite | Instagram |
zu erwerben via Amazon*, Finest Vinyl, jpc, iTunes und Co. |
Innere Werte: FJØRT – Couleur
Aus dem Nichts kommt eine immer lauter werdende Gitarre, kurze Zeit später ein treibendes Schlagzeug, die ersten Worte und schließlich das wohl fetteste Gitarrenriff, das ich in den vergangenen Monaten gehört habe. So oder so ähnlich dilettantisch klingt es, wenn ich mit vor Staunen weit geöffnetem Mund versuche, die ersten paar Sekunden des Alben-Openers „Südwärts“ in meine eigenen unmusikalischen Worte zu fassen. Mein Kopfkino lässt bereits Feuerfontänen aus dem Boden schießen. Und glaubt mir, sobald ihr diesen Song das erste Mal hört, werdet ihr diese Assoziation verstehen oder vielleicht sogar mit mir teilen.
Fingerspitzen aufgerissen,
jedem doch sein verdammtes Kreuz zu heben.
Nichts was gut ist, tat nicht vorher weh.
Es gibt noch eine weitere Assoziation, die ich Euch keineswegs vorenthalten kann: Ich kann machen, was ich will, aber dieses prägnanteste Gitarrenriff des Songs erinnert mich einfach immer wieder an Van Holzen. Und ich liebe es.
Doch damit nicht genug. Im Verlauf des Albums gibt es noch weitere spannende Neuerungen. So verlassen FJØRT auf „Couleur“ stellenweise ihre textlich sonst eher kryptischen Pfade. In „Raison“ etwa, der Weiterführung des Tracks „Paroli“ vom Vorgängeralbum, wird die Band so deutlich wie noch nie und ruft unmissverständlich zum Widerstand gegen die geistigen Brandstifter der Gegenwart auf.
Ich möchte eigentlich dieses Pack nicht kommentieren,
wenn die das Recht nicht hätten,
auch ihre Kreuze zu platzieren,
und damit wirklich zu entscheiden,
welches Leben mehr Wert hat,
so sich dann rechnet, auch zu bleiben.
Und während man „Windschief“ beim oberflächlicheren Hören zunächst beinahe mit einem Liebessong verwechseln könnte, stellt sich das Stück nach genauerer Betrachtung als musikalischer und lyrischer Seelenstriptease und ein Lied über depressive Phasen heraus. Sänger Chris Hell bezeichnet den Track selbst als „den schmerzhaftesten Song, den wir [FJØRT] jemals gemacht haben.“
Die zweite Video-Single „Magnifique“ entpuppt sich auf Anhieb als große Liebe auf den ersten Play und eines meiner absoluten Highlights der kompletten Band-Discographie. Zwischen drückendem Synthie, einer wunderschönen atmosphärischen Melodieführung und Wortwahl und dem Aufruf, sich die eigenen Fehler einzugestehen und daran zu wachsen, ist mir einfach nur noch zu Heulen zumute.
Der letzte Song der Platte heißt „Karat“ und entstand in der jetzigen Form tatsächlich erst im Studio. Was auf Anhieb auffällt, ist die tolle textliche Referenz zum Opener, die auch Euch nicht entgehen wird. Der für FJØRT-Verhältnisse doch eher ungewohnt ruhige Song punktet darüber hinaus vor allem mit seiner durchaus dreckigen und dennoch sehr raumeinnehmenden Gänsehaut-Atmosphäre. „Wir waren zufrieden mit dem, was wir erschaffen hatten, und dachten, dass das auch unser Ende sein könnte. Wir würden mit uns im Reinen gehen können, wenn es das jetzt gewesen wäre“, erklärt die Band selbst zu diesem Track.
Durch meine eigenen früheren Erfahrungen bin ich mir durchaus darüber bewusst, dass der rabiater Sound der Aachener Posthardcore-Combo nicht jedem gefällt. Während sich nun viele Musiker für den bequemen Weg entscheiden, ihren Sound der breiten Masse anpassen und sich den Rufen des Pop-Business profitorientiert hingeben, bleiben FJØRT mit „Couleur“ im Grunde genommen bei dem, was sie am besten können: Bis ins kleinste Detail durchdachter Musik zwischen raumeinnehmendem Post-Hardcore und Post-Rock, mal brachial und mal atmosphärisch und dabei stets dynamisch. Die Texte kommen mit ihrer Wortwahl überwiegend lyrisch daher und bieten in der Regel einen großen Interpretationsspielraum. Und wenn FJØRT dann doch mal eindeutiger werden, dann treffen sie dort, wo es am meisten weh tut. Die drei Aachener sehen das Spielen in dieser Band auch nicht als Karriereplan, Ego-Boost oder gar Arbeit – sondern als Notwendigkeit.
Fazit: FJØRT – Couleur
FJØRT leisten auf ihrem dritten Studioalbum das, woran viele Bands bereits nach ihrem Debüt scheitern. Sie schaffen den Spagat zwischen eigenständigem Sound und Weiterentwicklung, ohne sich dabei unnötig zu wiederholen.
Die Band legt einen starken Wert auf den Wechsel von Gitarren-Geballer und ruhigeren Parts und schafft so eine unvergleichbare Atmosphäre, welche nicht nur an sich schon tief unter die Haut geht, sondern gleichzeitig die Lyrics noch einmal in ihrer Wirkung verstärkt.
FJØRT scheuen sich auf „Couleur“ nicht davor, gesellschaftliche Probleme auch einmal deutlicher als gewohnt zu benennen und fordern zu mehr Kommunikation auf – mit Gleichgesinnten wie mit Andersdenkenden.
Anspieltipps: Südwärts, Magnifique, Windschief, Karat – aber Hand aufs Herz: Hört Euch bitte einfach das Album als Gesamtwerk an. Es lohnt sich.