[dropcap]D[/dropcap]ie Ruhr Games sind eigentlich vor allem für die vielen sportlichen Aktivitäten bekannt. Ob BMX oder Tanzen, Parcour oder Kanu – knappe 10.000 Sportler sollen an diesem Event teilnehmen. Für alle, die sich bei Anblick dessen zu unsportlich fühlen, gibt es noch ein großes musikalisches Rahmenprogramm. Wir – die personalisierte Unsportlichkeit – sind genau deshalb vier Abende lang bei den Ruhr Games unterwegs. An Tag zwei waren wir für Astairre und Chefket in Gelsenkirchen.
Heute ist Donnerstag. Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite. Obwohl wir eigentlich erst abends zum Rahmenprogramm anwesend sein wollen, entscheiden wir, schon eher nach Gelsenkirchen aufzubrechen. Immerhin haben wir die Stadt ja sowieso noch nie gesehen und die Anreise klingt nach einem dezenten Abenteuer.
Während der Busfahrt vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof schließlich hegen mich Zweifel. Sind wir hier echt richtig? Irrte sich das Internet nicht vielleicht? Selbst als wir schon die Emscher Lippe Halle erblicken können, bleiben wir zunächst skeptisch. Vielleicht sollten die Ruhr Games direkt von den im Internet angegebenen Haltestellen aus ausgeschildert sein. Das hätte uns in diesem Fall die Zweifel nehmen können.
Schließlich ist das Festivalgebiet gefunden. Vorbei am Skateboardingareal und videospielenden Kids landen wir schließlich auf einem Schulhof. Wir sind fasziniert von den vor Ort fechtenden Jugendlichen und begeben uns zur recht kleinen und dennoch sehr hohen Bühne. Dort sind gerade ein paar junge Herren am Werk und bauen ihr Equipment auf. Wir rätseln, um wen es sich handeln könnte, da wir das Programm nur hinsichtlich unserer geplanten Acts studiert hatten. Im Programmheft erfahren wir, dass es sich um The Hubschrauber handelt und ich beginne zu strahlen, als ich bemerke, dass diese alles andere als unansehnliche Band aus den Niederlanden stammt. Als Studentin, die seit wenigen Monaten einen Niederländisch-Kurs an der Universität absolviert und seitdem in Land und Leute verliebt ist, ein absoluter Traum.
Der Soundcheck bereitet mir zunächst ein paar Sorgen. Auch wenn die Jungs sehr witzig wirken, kann ich absolut noch nicht abschätzen, wie die Musik der Band klingen wird.
Leider sind gefühlt mehr Bierbänke als Zuhörer vor Ort, doch The Hubschrauber machen das Beste aus dieser Situation. Sie beherrschen ihr Handwerk und schlagen sich trotz so wenig Publikum gut. Ihr Sound klingt wie eine Mischung aus Britpop und Alternative mit ein paar elektronischen Einflüssen. Es handelt sich hierbei gewiss nicht um Musik, zu der man pausenlos tanzen könnte, vielmehr laden die Fünf zum Entspannen ein. Und das tun wir auch – wir sitzen überwiegend auf einer Bank und wippen hier und da ein wenig zum Takt mit. Wirklich umgehauen werden wir zu diesem Zeitpunkt nicht, doch wir schätzen den Auftritt von The Hubschrauber, da wir zumindest kein Bedürfnis verspüren, weggehen zu müssen.
Obwohl nicht sonderlich viel darauf hingedeutet hatte, erfreut es mich persönlich umso mehr, als es im Nachhinein einige Leute an den Merchandisingstand der Band zieht. Das haben sich die Fünf verdient. Mit ein paar Tagen Abstand zum Auftritt gefällt mir die Musik im Übrigen immer und immer besser. Manchmal ist es eben so, dass man einfach etwas genauer hinhören und sich auf Ungewohntes erst einlassen muss.
Nach den Niederländern folgt ein absolutes Kontrastprogramm. Combo Combo nennt sich die Gruppe, die plötzlich mit ihren Instrumenten über das komplette Gelände zieht und die Leute mit ihren Coversongs wie „Rolling in the deep“ zum Tanzen und Klatschen animiert. Nun gut, manchen mag die Situation auch etwas unangenehm sein, wenn sie so direkt angespielt und angesungen werden, doch wir sind positiv überrascht von dieser mobilen Kapelle, die in Sachen Entertainment eine Menge zu bieten hat.
In der Zwischenzeit stellen wir fest, dass das Gelände nicht besonders viel zu bieten hat. Als Vegetarier oder gar Veganer ist man an dieser Stelle fast ein wenig aufgeschmissen, will man sich nicht nur von einem undefinierbaren Teigring ernähren. Blieben höchstens noch die Möglichkeit eines kleinen Fußwegs zu einem kleinen Auto mit Smoothies und Fruchtsäften im Angebot oder aber über beide großen Parkplätze hinweg zum altbewährten Restaurant mit dem goldenen M.
Wir laufen ein wenig umher und vertreiben uns die Zeit mit ein paar Fotografien, während die Kölner von Astairre ihr Equipment aufbauen. Diese Band habe ich zufällig durch eine YouTuberin entdeckt, welche seit dem Way Back When Festival von ihnen schwärmte. Meine Erwartungen waren deshalb und aufgrund des Videos zu „1984“ also hoch gesteckt. Der Soundcheck lässt schon einmal Gutes erahnen. Endlich komm ein wenig Wumms in die Veranstaltung. Doch bevor die Jungs ihr Können zum Besten geben können, zeigen zunächst ein paar junge Tanzgruppen, was sie in Sachen Hip Hop drauf haben. Uns klappen beinahe die Kinnladen herunter. Mama, Papa, wieso habe ich nie so etwas lernen dürfen?
Leider leert sich das Gelände durch Abzug der stolzen Tänzer und Tänzerinnen, Mamis, Papis und anderen Verwandten wieder deutlich. Doch wir sind guter Dinge, denn endlich ist Zeit für Astairre. Die Jungs nehmen die Situation – sie können eigentlich auch nicht anders – mit Humor und machen das Beste daraus. Ihr Auftritt gefällt uns, wenn wir auch irgendwie im Vorfeld etwas Anderes erwartet haben. Wir haben das Gefühl, Astairre hätten ihren tatsächlichen Stil noch nicht so richtig gefunden. Mal rockiger, mal eher in Richtung Mainstream-Indiepop. Gar nicht so rough wie erhofft. Wir finden grundsätzlich, Potential ist durchaus vorhanden und behalten die Band im Auge, obwohl wir uns an manchen Stellen des Auftritts etwas zu sehr an Dreimillionen oder Kompass erinnert fühlen.
Unser kleines Gespräch mit Sänger und Gitarrist Philipp und der gefühlten Haus-und-Hof-Fotografin der Kapelle mündet schließlich direkt im Auftritt des Rappers Chefket, welchen wir nur flüchtig durch seinen Kollegen 3Plusss kennen. Das, was in den folgenden Minuten passiert, können wir kaum in Worte fassen. Wir sind mehr Menschen geworden und dennoch eine überschaubare Menge. Doch die Stimmung ist toll. Chefket haucht seinen Songs live noch so viel mehr Leben ein, was nicht zuletzt an seinen talentierten Sängerinnen liegt. Besonders Wanja fällt uns durch ihre Ausstrahlung und ihre Parts auf der Violine besonders positiv auf. Der Gig steht unter den Zeichen des Respekts. So darf eine junge Frau den Running Man auf der Bühne performen und als Belohnung dafür eine kurze Strecke Crowdsurfen. Auch initiiert Chefket einen B-Boying Circle, in dem sich jeder austoben kann, der sich traut. Egal, was in diesem Kreis getan wird, die Leute sollen es feiern. Als sich die Gelsenkirchener Crowd eher verhalten zeigt, springt der Rapper selbst mitten hinein und performt von dort aus weiter. So viel Nähe lässt nicht jeder Musiker zu. Letztendlich gibt der Wahlberliner sogar noch eine Zugabe zum Besten und entlässt damit eine kleine und dennoch feine glückliche Zuhörerschaft in die Nacht.
Von diesem Gig noch auf Wolke sieben schwebend folgt kurz darauf eine Ernüchterung, die uns ziemlich stört. Auf dem Gelände musste man sich Wertmarken kaufen, um Getränke und Speisen erwerben zu können. Es gibt jedoch um diese Uhrzeit keine Gelegenheit mehr, den Rest umzutauschen, geschweige denn auszugeben. Stattdessen werden wir mit „da müsst Ihr halt morgen wieder kommen“ abgespeist. Ist es denn tatsächlich zu viel verlangt, den Betrieb solcher elementaren Stände bis Ende der Veranstaltung zu sichern?
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